Rezension
Archive
Lights
Highlights: Lights // Programmed // Headlights
Genre: Progressive // Electronica
Sounds Like: Radiohead // Massive Attack // Pink Floyd
VÖ: 26.05.2006
Wenn man über Musik schreibt, neigt man schon mal gerne dazu Klangteppiche zu erwähnen oder den erzeugten Soundkosmos. Das mag auch hier und da gerechtfertigt sein, aber selten trifft es den Nagel so auf den Kopf wie bei Archive. Gerade auf den Alben "You All Look The Same To Me" und "Noise" bauen sie meterhohe Türme aus wabernder Elektronik und progressivem Rock. Als Paradebeispiel wird dabei gerne das Lied "Again" aufgeführt, aber genauso gut könnte man "Waste" oder "Get Out" nennen. Eine wichtige Rolle dabei spielte, neben den ständigen Archive-Mitgliedern Danny Griffith und Darius Keeler, Sänger Craig Walker. Manchmal fügte er sich angenehm in die Songschichten ein, manchmal schrie er kraftvoll aus ihnen heraus. Leider ist das aber jetzt schon seit geraumer Zeit vorbei, Craig Walker hat die Band verlassen.
Stattdessen ist auf dem neuen Album "Lights" der Amerikaner Pollard Berrier von der österreichischen Formation Bauchklang als hauptamtlicher Sänger zu hören. Davor muss man aber keine Angst haben, Pollard macht seine Sache nämlich ganz hervorragend.
Den Wechsel am Mikrofon nahmen Griffith und Keeler mal wieder zum Anlass, den eigenen Sound zu ändern. Die Melancholie solle der Vergangenheit angehören, stattdessen habe mehr Licht in die Musik Einzug gehalten, so die beiden Soundtüftler.
Die ersten Sekunden wollen einem das wirklich glauben machen. Das Schlagzeug rumpelt los, Gitarre plus Gesang plus Elektronik, und wir haben mit "Sane" einen Song vor uns, zu dem man tanzen könnte. Und das ist für Archive wirklich nicht normal. Die beiden Herren waren in einem früheren Leben House-DJs, muss man wissen. Das wieder etwas mit einfließen zu lassen, ist mehr als logisch. Dazu kühler Gesang, und ich stelle mir die Frage, was genau eigentlich Industrial ist. Der zweite Song "Sit Back Down" funktioniert auf ähnliche Weise. Sowohl Schlagzeug als auch Klavier treiben den Song nach vorne, dazu kommt der monotone Gesang. Erst im Refrain tritt eine Änderung auf. Der bis dahin sehr kalte Song wird durch ein Keyboard und eine Änderung des Gesangs durch eine warme Ebene ergänzt, bevor das Lied dann im für Archive typischen Elektronikgewaber endet. In die selbe Richtung gehen auch "Programmed" und die Single "System".
Das ist aber nur ein Aspekt des Albums. Daneben steht viel Melancholie, verpackt in mal mehr, mal weniger poppigen Balladen, häufig angereichert mit viel Elektronik und epischen Keyboardflächen. Hinzu kommt mal eine Akustikgitarre ("Taste Of Blood"), ein monotones Schlagzeug ("Headlights") oder eine liebliche Frauenstimme ("Veins"). Eben jene Stimme ist auch keine unbekannte für Fans. Vor Craig Walker war Maria Q nämlich schonmal für Archive im Einsatz. "I Will Fade" gehört ihr dann schließlich ganz alleine, und man wird zwangsläufig an die vergangenen TripHop-Zeiten erinnert. Trotz der Abwechslung beim Gesang (Dave Penn, der Craig Walker auch schon auf Tour ersetzt hat, ist auch noch auf dem Album vertreten) und trotz der so unterschiedlichen Musikstile ist die Platte aber sehr kompakt und keineswegs nur eine Aneinanderreihung von für sich stehenden Songs. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle auch gleich festhalten, dass die Klasse der vorhergehenden Alben nicht ganz erreicht wurde.
Das große Highlight aber findet man in der Mitte des Albums. Eingeleitet von dem durch ein simples Klaviermotiv getragene "Fold" geht es in das 18:29 Minuten dauernde "Lights" über. Das Klavier nimmt sich erstmal etwas zurück, im Hintergrund sind nur ganz leichte Windböen zu hören. Darauf bauen die Herren einen meterdicken Klangteppich auf. Nach und nach wird Soundschicht um Soundschicht hinzuaddiert bis es in Minute neun zum ersten Höhepunkt kommt. Erst danach setzt Pollards Gesang ein. It hurts to feel, it hurts to hear. Man darf sich vom Songtitel nicht irreführen lassen. Dieses Lied ist keineswegs das Licht, das man in dunklen Zeiten brauchen könnte. Stattdessen schmerzt es beim Zuhören. Es ist voller Melancholie, voller Dunkelheit und dabei so unglaublich gemächlich. Und es tritt wieder das auf, was "Again" schon immer so faszinierend machte. Minutenlang geht es dahin, nur Nuancen ändern sich und trotzdem wird es nie langweilig. Alleine dem Schlagzeug zuzuhören ist ein wahrer Genuss für die Ohren oder noch viel mehr für das Gehirn, das versucht diese vielen Informationen zu verarbeiten.
Ich schlage folgenden Versuch vor: Wir statten eine größere Personengruppe mit mp3-Playern aus und schicken jeden davon auf dem Fahrrad nachts durch ein verlassenes Industriegebiet. Aus den Kanaldeckeln steigt Rauch, das Licht der Straßenlaternen spiegelt sich in den Wasserpfützen wieder. Dabei muss das Lied "Lights" gehört werden. Rasen ist nicht erlaubt, es muss also ganz gemächlich gefahren werden. Wieviele Personen bleiben wohl stehen, um die Atmosphäre in sich aufzusaugen. Ich sage: Alle.
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