Konzertbericht
Archive

Um die Frage, die sich aus diesem Bericht zwangsläufig ergeben würde, bereits im Voraus zu explizieren: Ist es eine gute Idee, eine Liveshow mehr oder weniger ausschließlich der Umsetzung eines Konzeptalbums zu widmen? Ja – solange das Album gut ist – , weil viel zu selten betont wird, dass Alben eigentlich nicht fragmentarisch genossen, sondern am Stück gehört werden sollten? Oder nein, weil einem Konzert Spannung entzogen wird, wenn der Ablauf der Setlist quasi schon vorher bekannt ist und man es dem Publikum schließlich weder übel nehmen kann noch sollte, auch Klassiker serviert bekommen zu wollen?
Aber erst mal von vorne: Dass die Livequalitäten von Archive polarisieren und Eindrücke zwischen „fantastisch-atmosphärisch“ und „langweilig-monoton“ schwanken, ist nichts Neues; da jedoch genügend Anhänger der Londoner erster Kategorie angehören, war der Ausverkauf des Übel & Gefährlich auch nicht wirklich überraschend – insbesondere nicht, da mit Birdpen ein vielversprechendes Nebenprojekt von Archive-“Frontmann“ Dave Pen den Vorbandslot übernahm. Deren Debütalbum On/Off/Safety/Danger wurde von unserem Rezensenten bereits im März als „eines der stimmungsvollsten Alben des Jahres“ bezeichnet, live konnten Birdpen aufgrund erhöhter Playbackanteile in ihrem Sound jedoch nicht komplett begeistern und erst ab der Mitte des ca. halbstündigen Sets, das mit dem tollen „Machines Look Like Ordinary People“ eingeläutet wurde, überzeugen.
Dass Archive wenig später mit dem über zehnminütigen „Controlling Crowds“ – dem Titeltrack des aktuellen Mammutalbums – beginnen würden, kam an sich wenig überraschend, ist es doch für viele Bands gang und gäbe, den neuesten Opener voranzuschicken. Für manche etwas befremdlich war es jedoch, im Anschluss wirklich – bis auf die Zugaben – das komplette, immerhin 80 Minuten andauernde Konzert ausschließlich „Controlling Crowds“ zu widmen. Dass diese Phase trotzdem unglaublich schnell vorüber zu sein schien, lag wahrscheinlich an der unbestreitbaren Qualität des sechsten Archive-Albums: Vom epischen Titeltrack über den Gänsehautgaranten „Dangervisit“ – wie auch andere Stücke von einem ungewollt komisch wirkenden Rapper auf der Bühne unterstützt – bis zu „Collapse/Collide“, zu dem Gastsängerin Maria Q. auf die Leinwand hinter der Band projiziert wurde, ist es verblüffend, was Archive nach dem eher enttäuschenden „Lights“ für ein Album geschaffen haben.
Pedanten mögen nun wissend einwerfen, dass „Controlling Crowds“ sich ja eigentlich auf zwei Alben und vier Teile verteilt. Richtig – Teil IV erscheint erst dieser Tage als gesonderte Platte, und so waren es dann bis auf die neuen Stücke „Lines“ und „The Empty Bottle“ auch hauptsächlich Stücke der ersten drei Teile von „Controlling Crowds“, die die Band präsentierte. Nach diesem Marathon blieb dann immerhin noch Platz für vier ältere Archive-Stücke: Warum das wirklich eher schwache „System“ dazu gehörte und das vielleicht beliebteste Album der Band – „Noise“ – dafür komplett ignoriert wurde, mag unverständlich sein, doch stellte es das Hamburger Publikum sichtlich zufrieden, mit „Londinium“ einen ganz alten Evergreen serviert zu bekommen und schließlich mit dem kaum enden wollenden „Again“ stilecht in die Herbstnacht verabschiedet zu werden. Wohl zufrieden – aber doch mit gemischten Gefühlen. Die Frage vom Anfang – sie wird ein anderes Mal beantwortet werden müssen.