Interview

Archive


Seit "Noise" hat sich einiges im Archive-Universum getan. Mit "Lights" erschien ein neues Album, das zumindest in Teilen eine weitere grundlegende Wende im Sound der Engländer markiert. Davor schon hatte Sänger Craig Walker die Band verlassen, er wurde mit Pollard Berrier ersetzt. Licht in all diese Dunkel soll Danny Griffiths bringen, der Archive zusammen mit Darius Keeler 1994 gründete. Als ich den Raum betrete, vertreiben sich Danny und Maria Q, die ebenso auf "Lights" und bei Liveauftritten singt, die Zeit mit einem Kartenspiel. Mein Versuch Maria die Optik des bayerischen Blattes zu erklären, wird zum Glück rechtzeitig von Danny unterbrochen, der sein Glas Wein nachgeschenkt hat und somit für das Interview bereit ist.

Kannst du mir erklären, warum Archive ausgerechnet in Frankreich so bekannt ist?

Danny Griffiths: Dort hat alles angefangen, schon mit unserem ersten Album. Aber es gibt noch mehr Länder, in denen wir ziemlich erfolgreich sind. In Griechenland zum Beispiel waren wir unter den Top 3 in den Charts, und in Polen läuft es auch sehr gut.

Und in Deutschland?

Danny: Hier dauert es sehr lange, eine Fanbasis aufzubauen, weil es ein sehr großes Land ist, und es ist sehr schwer, im Radio gespielt zu werden. Aber um ehrlich zu sein, ist es mit unserer Musik in jedem Land anfangs nicht so leicht.

Wie läuft denn die Tour bis jetzt?

Danny: Es ist unglaublich, wirklich. Gestern Abend in Köln hatten wir einen der besten Gigs der gesamten fünfeinhalbwöchigen Tour. Das Publikum war sehr energisch und hat viel geschrieen. Berlin war auch toll. Es ist wirklich großartig. Man weiß ja zuvor nie, was passieren wird.

Der Sound vorhin beim Soundcheck war schonmal überwältigend, es sollte also gut werden.

Danny: Wirklich?

Ja, er ist unglaublich druckvoll.

Danny: Von der Bühne aus ist das schwer zu beurteilen, weil es dort ziemlich leise ist. Aber es freut mich, das zu hören.

Ich habe heute mal versucht, meine Wunsch-Setlist zusammenzustellen, und es fiel mir nicht gerade leicht. Spielt ihr während einer Tour bei jedem Konzert die gleichen Lieder?

Danny: Anfangs probieren wir meist ein paar verschiedene Dinge aus. Dieses Mal war es auch so, dass ich mit der ursprünglichen Setlist nicht wirklich glücklich war. Deswegen haben wir mit der Zeit einiges umgeworfen. Es ist wichtig, dass man einen schönen Flow reinbekommt.

Wird es nicht gerade dadurch kompliziert, dass viele eurer Lieder so lang sind?

Danny: Es ist ziemlich schwer, weil sie auch so unterschiedlich sind und das Tempo perfekt passen sollte. Aber jetzt haben wir eine Setlist, die sehr gut funktioniert, und die behalten wir für die meisten unserer Shows bei.

Wie ist es mit den Liedern selbst? Ändert ihr die oder spielt ihr einfach die Albumversionen?

Danny: "Lights" haben wir gekürzt, da lassen wir etwas vom Zwischenteil weg. Lieder dieser Länge verlangen den Leuten schon einiges ab...

...vor allem, wenn man sie nicht kennt...

Danny: Ja, bei einem 18-minütigen Stück ist das schon schwer, und wir wollen soviele Lieder wie möglich spielen, haben aber nur eine bestimmte Menge an Zeit. Und wenn man "Lights" und "Again" und "Numb" zusammen nimmt, "Numb" dauert ja auch acht Minuten, dann hätten wir insgesamt schon etwa 40 Minuten. "Waste" nicht zu vergessen, was wir momentan nicht spielen, aber auch schon gespielt haben.

Shit, ihr spielt "Waste" heute auch nicht?

Danny: Nein, ich liebe "Waste", aber äh... (überlegt) Ich weiß gar nicht mehr genau, warum wir es momentan nicht spielen. Es war wohl, weil wir eben schon so viele andere lange Lieder in der Setlist haben. Wir machen es uns nicht leicht, alles zu planen, aber es gibt dann eben Lieder, die herausfallen müssen.

Können wir über euren ehemaligen Sänger Craig Walker sprechen?

Danny: Sicher.

Warum hat er denn die Band nach "Noise" verlassen?

Danny: Dafür gibt es viele Gründe. Craig hat diesen Indie-Background, Gitarrenmusik und all das. Und wir wollten nach "Noise" wieder etwas anderes machen. Und dann kamen wir zwangsläufig an diesen Punkt, an dem es nicht mehr funktionieren konnte. Das neue Album sollte auch nicht mehr so düster sein wie die vorherigen, Craig hatte das aber gewollt.

Was macht er denn jetzt?

Danny: Er hat wieder seine eigene Band gegründet. Das ist es auch, wo er herkommt. Ein Frontmann in einer Band zu sein, Lieder schreiben und so weiter, aber Archive funktioniert so nicht. Darius und ich schreiben den Großteil der Lieder.

Auch die Lyrics?

Danny: Die meisten, ja. Jetzt schreibt natürlich auch Pollard welche. Aber zu Craig. Jetzt ist er wieder in einer Rock'n'Roll-Band, und so wie ich Craig kenne, würde ich behaupten, dass er damit glücklicher ist.

Und dann habt ihr Pollard kennengelernt.

Danny: Da war wirklich viel Glück dabei. Ich finde Pollard unglaublich, er bringt so etwas souliges mit ein. Das war genau, wonach wir gesucht haben.

Ist es nicht schwierig, die alten Lieder von einem Neuen singen zu lassen?

Danny: Das meiste davon singt Dave (Penny, Anm. d. Autors). Er versucht dabei nicht, Craig zu sein, sondern macht einfach sein eigenes Ding, was sehr wichtig ist. Pollard singt viel von dem neuen "Lights"-Material. Zusammen ergibt das eine sehr gute Balance, Maria kommt ja auch noch dazu.

Wie würdest du Pollards Einfluss auf "Lights" beschreiben?

Danny: Wir wussten, dass wir mit diesem Album wieder in eine neue Richtung gehen wollen. Die Grundidee war schon da, aber Pollard hat zusammen mit Dave viel für "Lights" geschrieben, und dadurch wurde das Album natürlich verändert. Dann ist da noch Maria, die zwar nicht am Songwriting beteiligt war, aber auch singt.

Maria schreibt gar nicht? War das bei eurem zweiten Album "Take My Head" auch schon so?

Danny: Suzanne hat auf dem Album gesungen, Maria kam dann erst für die Tour dazu, Darius hat alle Lyrics geschrieben. Aber ich muss zugeben, dass ich mit dem Album auch nicht glücklich war.

Das sagen ja alle, aber ich finde, dass auf dem Album auch sehr gute Lieder sind.

Danny: Ja, ja, ja, nicht falsch verstehen. Es geht auch gar nicht um einzelne Lieder. Ich hab zu dieser Zeit einfach noch keine Lyrics geschrieben, das fing erst danach an. Deswegen würde ich dieses Album nicht gerade als "mein" Album bezeichnen.

Widmen wir uns wieder "Lights". Kann man sagen, dass es textlich gesehen sehr medien- und gesellschaftskritisch ist?

Danny: Nicht unbedingt. Ich sehe es eher aus einer Beobachterperspektive. Wir haben schon viele persönliche Lieder geschrieben, Liebeslieder und all das. Dann welche wie "Fuck U", die eine gewisse Frustration beschreiben. Auf "Lights" geht es jetzt hauptsächlich um Dinge, die in der Welt um uns passieren. "System" und "Sane" widmen sich zum Beispiel der Gesellschaft. In England, und vermutlich nicht nur da, ist es so, dass viele Leute auf die Arbeit gehen und sich dann zuhause vor den Fernseher setzen und sich berieseln lassen. Das ist doch Müll. So viele Leute sind einsam, schauen in dieses Ding und interessieren sich für das Leben anderer mehr als für ihr eigenes. Außerdem spielt das Thema Tod eine wichtige Rolle, allen voran in "Lights" und "Headlights". Textlich gesehen ist es wohl nicht gerade ein fröhliches Album.

Wie schreibt ihr ein 18-minütiges Stück wie "Lights", das ja minutenlang nur von dieser sehr leicht variierenden Drum Machine dominiert wird und doch so unglaublich spannend ist?

Danny: Darius kam mit der Melodie an, und wir fügten die Drum Machine hinzu, und er so "I fucking love this drum machine" und daraus hat sich das ganze Lied entwickelt.

Kommt das Schlagzeug bei Konzerten vom Band?

Danny: Live beginnt die Drum Machine und später irgendwann setzt das Schlagzeug ein. Einige Dinge kommen bei unseren Konzerten vom Band, ohne das könnten wir unsere Lieder überhaupt nicht umsetzen. Jedenfalls lief die Melodie und dazu die Drum Machine, und wir fanden das sehr aufregend. Und wir ließen es einfach laufen, und auf einmal hatten wir acht Minuten. Dann kamen noch die Vocals hinzu, und es machte überhaupt keinen Sinn, alles abzubrechen und einen vierminütigen Popsong daraus zu entwickeln. Stattdessen hörte es sich gut an, wie es war. Und so ließen wir es laufen und laufen und hatten am Ende dieses überlange Lied vor uns.

Es ist ja auch so, dass man nach 13 Minuten eigentlich das Gefühl hat, dass es vorbei ist, aber dann kommen nochmal fünf Minuten. Andere Bands machen daraus alleine schon zwei Lieder.

Danny: Die Intensität hat das gefordert. Wir brauchten eine Zusammenfassung, ein Ende, so eine Art Schlussfolgerung. Dadurch bekommt es auch noch eine positivere Richtung, was für das Stück einfach Sinn machte.

Vor allem ist das Lied spitze, wenn man nachts durch die Stadt läuft und es regnet...

Danny: Das ist toll. Es ist so ein typisches Kopfhörer-Lied. Ich liebe das. Es ist die Art und Weise, auf die ich viele Songs sehe. Manche Leute finden so etwas langweilig, aber mich macht das einfach glücklich.

Habt ihr schon Pläne für ein neues Album? Wird die Band die gleiche bleiben oder gibt es schon wieder Ausstiegspläne?

Danny: Es werden jedenfalls die gleichen Leute beteiligt sein. Vor der Tour haben wir schon ein bisschen Ideen gesammelt und wenn wir wieder nach Hause kommen, wird das weiterlaufen. Dann gehen wir ins Studio und bringen alles zusammen und sehen, was sich daraus entwickelt. Es wird bestimmt sehr interessant.

Habt ihr auch mal darüber nachgedacht, einen zweiten Soundtrack zu machen?

Danny: Bisher hat uns das niemand angeboten, was ich etwas seltsam finde, da unsere Musik doch sehr visuell ist. Aber ehrlich gesagt war Michel Vaillant auch Müll. Ich liebe den Soundtrack, aber der Film war nichts. Wenn uns das jetzt nochmal jemand anbieten würde, also für einen guten Film, dann fände ich das sehr aufregend.

Ihr könntet ja Video Clips für alle Lieder des "Lights"-Albums machen.

Danny: Wenn wir das Geld hätten, würden wir. Wir wollten schon für "Again" ein Video machen und dann für "Lights", aber wir sind keine sehr reiche Band, und sie bezahlen uns das nicht. Aber ich würde es lieben, etwas in diese Richtung zu tun. Auch für ein ganzes Album, wenn es möglich wäre.

Coldcut hat sowas gemacht.

Danny: Ja, ich finde das sehr spannend, aber wir müssen auch Geld in das neue Album investieren.

Matthias Kümpflein

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