Rezension

...And You Will Know Us By The Trail Of Dead

Lost Songs


Highlights: Up To Infinity // Catatonic // Awestruck
Genre: Progrock // Noise // Punk
Sounds Like: Shellac // Fugazi // Les Savy Fav

VÖ: 19.10.2012

...And You Will Know Us By The Trail Of Dead begehen in diesem Jahr ihr 18-jähriges Bandjubiläum. Nun mag dies ein etwas seltsam anmutender Einstieg für diesen Text sein, denn was sollte man vom achten Album dieser Band noch groß erwarten? Etwa, dass sie nun „erwachsen“ klingen? Wohl kaum, denn schon nach „Source Tags & Codes“ fragte man sich, ob sich diese Band überhaupt noch steigern kann. Für eingefleischte Fans ist dies bis heute eines der besten Alben der Band und für die Musikkritik mit Sicherheit ein Meilenstein.

Und doch haben ...Trail Of Dead es danach geschafft, noch vier weitere Alben zu veröffentlichen, die durch die Bank weg begeistert haben. Die Mischung aus, teilweise von zwei Drummern verfertigtem, totalem Schlagzeugirrsinn, Conrad Keelys und Jason Reece' charakteristischem Gesang und der in manchen Titeln schon fast barocken Orchestralität festigten den Geniestatus dieser Band. Durch die Videos und die von Conrad gezeichneten Coverabbildungen kam dann noch die Aura des Gesamtkunstwerkes hinzu.

Kurzum: Auch bei "Lost Songs", das entgegen des Namens nur aus absolut neuen Songs besteht, hatten Fans wie Kritiker wieder einmal allen Grund zur Befürchtung, dass ...Trail Of Dead ihren Zenit längst überschritten haben und kein Spielraum für Verbesserungen mehr sei. Und so kommt es, dass das erste Album seit der "Volljährigkeit" der Band zum einen überrascht und sich zum anderen eben keineswegs erwachsen anhört. Ganz im Gegenteil – es ist das vielleicht pubertärste Album der Band überhaupt.

...And You Will Know Us By The Trail Of Dead wagen hier die Flucht nach vorn und legen mit „Lost Songs“ ein wütendes, raues Album vor. Es rumpelt und scheppert ordentlich, teils fühlt man sich sogar an den Polit-Punkrock der 90er-Jahre erinnert. Nur wer sich verändert, bleibt sich treu. Und so schultern ...Trail Of Dead die Bürde ihrer eigenen Bandgeschichte locker, indem sie dem Vergleich mit bisherigen Alben dadurch aus dem Weg gehen, dass sie sich auf „Lost Songs“ anhören wie eine junge, neue Band. Am ehesten lässt die Direktheit der Songs noch den Vergleich mit den ersten beiden Alben zu. Schon im ersten Song „Open Doors“ hören wir Conrad Keely We reinvent ourselves again konstatieren, obwohl dieser Titel sich noch eher als klassischerer ...Trail-Of-Dead-Song beschreiben lässt.

Die Themen der Songs sind sehr ambitioniert und reichen von Game of Thrones über die Kritik an der apathischen und apolitischen Jugend bis hin zur Schlacht im Teutoburger Wald und dem Krieg in Syrien. Bezeichnenderweise widmet die Band dieses sehr politische Album Pussy Riot.

Im Interview mit éclat stellt Drummer Jason Reece fest, dass die Platte sich erstaunlich amerikanisch anhört, wobei sie doch in Hannover aufgenommen wurde – ganz im Gegensatz zu den eher vom Krautrock beeinflussten und in Texas aufgenommenen früheren Alben. Unter den Bonus-Tracks der Limited Edition des Albums findet sich übrigens auch eine deutschsprachige Version des Titelsongs „Verschollene Songs“! Das Gefühl, einmal seine gewohnte Umgebung verlassen zu müssen, um neue kreative Energie zu finden, das letztendlich auch zu den Aufnahmen in Deutschland geführt hat, beschreiben .Trail Of Dead auch in „Awestruck“. Get Out! Get awestruck! Die Welt ist in den letzten Jahrzehnten so eng zusammengerückt und verändert sich gleichzeitig so rasant, dass die Band in diesem Song die Hörer indirekt dazu aufruft, ihre „comfort zone“ zu verlassen und so vielfältige Erfahrungen wie möglich zu machen. Aus einem gesteigerten Bewusstsein heraus könne man wirkliche Veränderungen politischer wie persönlicher Art erreichen.

Der Titelsong befasst sich mit der Problematik, dass es heute eine so große Menge veröffentlichter Songs gibt, dass diese unmöglich alle gehört werden können und vielleicht nie die richtigen Songs die richtigen Hörer finden. Lost Songs, they’re going nowhere. Es ist auf jeden Fall zu hoffen, dass zumindest dieses Album diejenigen Hörer findet, die es zu würdigen wissen.

Christoph Herzog

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"Catatonic" auf Soundcloud

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