Interview

Son Lux


Während dem Touren ist es oft schwer, Zeit für Interviews zu haben. Darum hat es sich ergeben, dass Ryan Lott von Son Lux sich in einem ruhigeren Moment die Zeit genommen hat, um ein schriftliches Interview zu geben. Über Klangexperimente seines kleinen Sohns, Berge von musikalischen Daten, die Privilegien der Bandmitglieder von Son Lux, ob Lott die Möglichkeit, fliegen zu können, nutzen würde und andere philosophische Themen lest ihr im Interview.

Hey, ich hoffe, ihr habt eine schöne Zeit auf der Tour und könnt zwischen dem Stress zumindest einige schöne Momente genießen!

Ryan: Danke, ja. Die meisten guten Dinge im Leben scheinen nach meiner Erfahrung fast ebenso anstrengend wie lohnend zu sein.

In jedem Interview stelle ich eine Frage von der Person aus dem vorherigen Interview. Die letzte Frage kommt von Lyzza. Sie fragt: "Wenn du fünf Minuten mit Björk hättest und ihr einen deiner Tracks vorspielen könntest, welcher wäre das?"

Ryan: Tolle Idee, mit den Fragen! Um ehrlich zu sein, würde ich lieber die fünf Minuten damit verbringen, ihre Antwort auf diese Frage zu bekommen. Stell dir vor, du könntest sie bitten, fünf Minuten ihrer Arbeit mit dir zu teilen, auf die sie am meisten stolz ist. Oder noch besser... etwas, das noch niemand gehört hat!

Welche Frage würdest du der nächsten interviewten Person gerne stellen? Es steht noch nicht fest, wer das sein wird.

Ryan: Würdest du ein Jahr deines Lebens dafür geben, dass du dein Leben lang fliegen kannst? Warum oder warum nicht?

Ich habe das Interview mit Chris Tabron über seine Arbeit beim Mischen des Albums "Brighter Wounds" und vor allem des Songs "Labor" gelesen. Es war toll zu lesen, wie leidenschaftlich er beim Mischen der Songs vorgeht und auch, dass er den Track "Labor" als den "Rosetta-Stein" für den Rest des Albums nennt. Ich denke, es ist eine schöne Metapher und ich stimme dem zu. Was, denkst du, macht den Song "Labor" so einzigartig und besonders?

Ryan: In diesem Song machen wir viele Dinge, die wir noch nie zuvor ausprobiert haben. Technisches, nerdiges Zeug. Auf den ersten Blick ist es ein simples Lied, aber seine Geradlinigkeit täuscht über eine subtile Komplexität hinweg. Ich denke, wir haben in dem Song ein empfindliches Gleichgewicht erreicht. Außerdem ließ Chris ihn wunderbar klingen. Das war perfekte Teamarbeit!

Würdest du auch zustimmen und es den Rosetta-Stein des Albums nennen? Wenn nicht, welchen Song würdest du eher wählen?

Ryan: Ich würde sagen, das könnten alle der Songs sein. Für mich persönlich würde ich "All Directions" wählen. Passend zu seinem Titel macht er all die Dinge, die die Platte macht, geht in alle verschiedenen Richtungen. Er ist eine Verkapselung oder ein Mikrokosmos. Aber das ist nur meine Meinung.

Ich fand vom ersten Hören an den Song "Labor" überragend. Ich würde gerne wissen, wessen Herzschlag man als Ton des Phonokardiogramms hören kann? Oder ob es überhaupt ein echter Phonokardiogramm-Sound ist oder nur so klingt wie einer?

Ryan: Ah, das ist ja interessant! Ich habe noch nie darüber nachgedacht, dass das wie ein Herzschlagmonitor klingt. Wow, das ist erstaunlich, ich liebe diese Vorstellung!

In einem Facebook-Post habt ihr Chris Tabron als "Teil eurer musikalischen Familie" genannt. Daher habe ich mich gefragt, wer zu dieser Familie gehört und wie groß sie ist?

Ryan: Das Projekt Son Lux war schon immer ein Gemeinschaftsprojekt. Selbst als es ein Soloprojekt war, verließ ich mich auf die Hilfe anderer. Eines unserer Ziele bei jedem unserer Projekte ist es, unsere "Familie" zu vergrößern, Musik zu nutzen, um neue Beziehungen zu katalysieren. Das ist eines der Geschenke, die Musik anbietet.

In einem anderen Interview mit Under The Radar erzählst du, Ryan, dass du deinen Bandkollegen Rafiq wegen seiner "Familie", die eine Welt voll lebhaft kreativer Musikmachender sei, "geheiratet" hast. Ich mochte die symbolische Vorstellung der Heirat mit deinem Bandkollegen. Wenn man weiter über dieses Bild nachdenkt, ist Son Lux dann eine offene Ehe, weil ihr alle auch eigene Projekte habt? Und ist das manchmal eine Herausforderung?

Ryan: Es ist lediglich eine logistische Herausforderung, da jeder Tag nur eine begrenzte Anzahl von Stunden und jedes Jahr nur eine begrenzte Anzahl an Tagen hat. Aber wir schätzen und erkennen den Nutzen, den unsere einzigartigen individuellen Erfahrungen der Gruppe bringen. Das Gesamte wird dadurch stärker, dass seine einzelnen Teile stärker werden.

Nochmal zu dieser musikalischen Familie.... Als ich das las, hat es mich an Bourdieus Schriften über "Sozialkapital" erinnert. Glaubst du, dass die Nutzung dieses Netzwerks euch und dich selbst erfolgreicher macht? In irgendeiner Weise?

Ryan: Es kommt ganz darauf an, wie du Erfolg definierst. Und das Netzwerk zu "nutzen", ist vielleicht eine problematische Art, darüber nachzudenken. Die Gemeinschaft existiert nicht nur, um meinen eigenen künstlerischen Ausdruck zu verstärken. Hoffentlich ist es ebenso umgekehrt der Fall und ich stärke auch die Gemeinschaft.

Ich habe auch über die unterschiedlichen Hintergründe von euch als Bandmitglieder nachgedacht. Auch wenn sie verschieden sind, gab es in eurer Kindheit / Jugend ein "soziales Kapital" oder Netzwerk, durch das ihr zum Beispiel Instrumente lernen und eine (musikalische) Bildung bekommen konntet? Haben eure Familien euch unterstützt?

Ryan: Das ist eine sehr wichtige Frage, die die Leute nicht genug stellen. Wir drei sind alle Produkte eines gewissen Wohlstands und verschiedener Arten von Privilegien. Wir alle genossen (und genießen immer noch) ein gewisses Maß an Unterstützung von unseren Familien. Wir sind auch Männer in einer "Männerwelt". Unsere Geschichten und Hintergründe sind unterschiedlich, aber wir haben diese Dinge gemeinsam. In dem Bewusstsein, dass uns diese Privilegien Vorteile bieten, versuchen wir, unsere Peers, die sie nicht genossen haben, weiter zu stärken. Wie können wir unsere Möglichkeiten einsetzen und Hebel in Bewegung setzen, um andere kreative Stimmen zu fördern?

Ihr bezeichnet euch selbst als Musiknerds, ihr alle habt in musikalischen Ausbildungen Sprache und Theorie der Musik gelernt. Ich kann mir vorstellen, dass es das viel einfacher macht, Songs zu schreiben, besonders wenn man sie von verschiedenen Orten wie NY und LA aus schreibt. Aber schreibt ihr auch Songs während der Tourneen, während ihr so nah beieinander seid und viel Zeit miteinander verbringt? Oder braucht ihr eine gewisse Distanz?

Ryan: Im Idealfall beides! Und auch hier gilt es zu betonen, dass das, was wir außerhalb dieses Projekts lernen und schaffen, ihm zu Gute kommen sollte. "Son Lux" sollte immer formbar bleiben, um meinen eigenen Schöpfungsdrang unterbringen zu können, sodass es sich angemessen anfühlt. Jetzt, wo wir ein Trio sind, gilt dieses Prinzip aber gleichwertig für jeden Einzelnen von uns.

Meiner Meinung nach sind die musikalischen Arrangements von Son-Lux-Songs so voller Schichten und Feinheiten, dass ich jedes Mal, wenn ich einen Song höre, das Gefühl habe, dass es fast zu viel ist. Ist es aber nicht. Ihr scheint gut darin zu sein, herauszufinden, wo der Punkt ist, an dem es zu viel wäre. Wie macht ihr das?

Ryan: Nun, ja. Wir hoffen darauf, dass die Musik unter die Haut geht, intuitiv und unerklärlich wirkt. Sie sollte ein Gefühl der Überstimulierung hinterlassen. Gott bewahre, dass sie das Gegenteil tut!

Ihr müsst schon eine riesige Sammlung von Klängen haben, die immer größer wird. Wo und wie speichert ihr diese Klänge (digital und emotional)? Und: Wenn man an berühmte Künstler_innen der letzten Jahrzehnte denkt, deren Klangsammlungen noch nicht vollständig entdeckt sind, oder von anderen genutzt werden: Was soll mit eurem Soundmaterial in, sagen wir, 70 Jahren passieren, wenn wir wahrscheinlich alle tot sind und neue Menschen kreativ sind?

Ryan: Ja, du hast Recht. Es sind viele Terabyte an Sounds und Ideen. Der Trick ist, dem Gefühl zu widerstehen, dass das Neueste das Beste ist. Wenn etwas neu ist, sind wir natürlich voreingenommen, es zu bevorzugen. Aber es wird immer einen Sound oder eine Idee geben, die jahrelang in einem Stapel von Festplatten vergraben war und sich irgendwann als Juwel erweisen wird. Ich fühle mich nicht verpflichtet oder belastet, alles oder das Meiste davon zu benutzen. Aber zu wissen, dass es im Berg der Daten einen unentdeckten Schatz gibt, ist ein beruhigender Gedanke.

Glaubst du, dass es in 70 Jahren überhaupt möglich ist, neue Sounds zu kreieren? Oder ist bis dahin schon alles entstanden?

Ryan: Ich habe vor kurzem mit meinem kleinen Sohn in der Küche gespielt, als er entdeckte, wie er mit einem flexiblen Löffel auf einen kleinen Behälter drücken kann, sodass der Behälter sich umdreht. Dabei ist das Geräusch "ssh-p-d-d-d-d" entstanden und der Löffel kam mit einem "THOP!" auf der Arbeitsplatte auf. Der Nachhall im Raum war großartig, und er machte es immer wieder. Niemand hat jemals diesen Behälter mit dem Löffel in dieser Küche herumgedreht, um dieses Geräusch zu machen. Wenn mein 19-monatiger es kann, kann ich es auch. In 70 Jahren werde ich es nicht mehr tun, aber vielleicht wird er es tun?

Könntest du nun die Frage, die du am Anfang aufgeschrieben hast, selbst beantworten? Also: "Würdest du ein Jahr deines Lebens dafür geben, dass du dein Leben lang fliegen kannst? Warum oder warum nicht?"

Ryan: Ich würde es definitiv nicht tun. Vielleicht lebe ich nur noch 13 Monate lang. Man kann nie wissen. Und was ist, wenn ich 13 Tage später sterbe? Dann würde ich das Geschenk des Fliegens annehmen, nur um sofort zu sterben.

Marlena Julia Dorniak

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