Interview

Lyzza


Im Rahmen des "Care Through Music"-Events in Bochum treffen wir Lyzza, die am Abend auflegen wird. Wir sprechen über Safe Spaces in der Clubszene, und was das Outfit der DJs damit zu tun haben kann, dass sich das Publikum wohler fühlt. Außerdem erklärt Lyzza, was es mit inklusiver Clubkultur auf sich hat, sagt, was sie von kultureller Aneignung hält und erzählt nebenbei auch ein wenig von ihren Lieblingsperücken.

Es gibt noch nicht viel zu lesen über Lyzza, obwohl sie momentan ziemlich gefragt ist in der experimentellen Elekronikszene. Aber über ihre eigenen Social-Media-Kanäle kann man eine Menge von ihr selbst erfahren. "Ich tweete oft etwas und denke zehn Minuten später erst darüber nach, was ich da eigentlich geschrieben habe. Bei Facebook bin ich auch mit Familienmitgliedern verbunden, darum poste ich dort nicht so viel wie auf Twitter, sondern eher ausgewählte Bilder und woran ich arbeite". Auf Twitter hat Lyzza zum Beispiel über ihre neusten Perücken-Errungenschaften geschrieben. "Mittlerweile liebe ich es, Perücken zu tragen. Ich kann zu meinem Outfit die passenden Haare auswählen, das ist doch großartig! Ich habe eine blonde, eine rote, eine lockige schwarze, einen Bob. Momentan liebe ich meine neongrüne, vor allem im Schwarzlicht. Ich habe sie auch ein-, zweimal auf der Straße ausprobiert, aber ich komme nicht damit klar, dass ich mit ihr so viel Aufmerksamkeit auf mich ziehe". Es ist schwierig vorstellbar, dass Lyzza nicht schon ihr ganzes Leben lang eine Person war, die im Mittelpunkt des Geschehens steht und vor Selbstbewusstsein strotzt. "Ich war früher super schüchtern. Sogar noch, als ich mit dem Auflegen angefangen habe. Ich wurde in der Schule gemobbt. Außerdem habe ich Diabetes Typ 1, was dazu geführt hat, dass meine Eltern mich teilweise sehr behütet haben. Ich war nie mit Freundinnen in Clubs unterwegs und so." Mittlerweile sieht das anders aus. Lyzza ist ständig in Clubs und zwar meistens, um aufzulegen.

Auf Instagram nennt sich Lyzza "lyzzalefteye", was eine Hommage an Lisa "Left Eye" Lopez von TLC ist. "Ich mag TLC sehr gerne und mochte besonders Left Eye. Ich fand ihr Rappen großartig und auch ihre Spiritualität. Sie hat oft gesagt, dass, wenn man positive Energie gibt, die auch zurückkommt. Daran glaube ich auch. Außerdem liebe ich alle ihre Outfits!" Auch Lyzza achtet besonders auf ihre Bühnenoutfits. "Anfangs habe ich zum Auflegen noch Shirts und Jeans getragen, aber irgendwann dachte ich mir, dass es spannend ist, sich einen Charakter auszudenken und sich besonders anzuziehen. Außerdem hoffe ich, dass Leute im Publikum sich sicherer fühlen, wenn ich verrückt angezogen bin und sie sich dadurch selbst mehr trauen. Mit Freund*innen organisiere ich die XXX-Partys. Es geht darum, einen Raum zu schaffen, in dem sich die Menschen so frei und wohl fühlen können wie möglich. Vor allem Menschen, die oft in der Gesellschaft diskriminiert werden. POC, LGTBQI* und andere. Am Wochenende sollte es eine Art Befreiung vom Alltag geben. Die Menschen sollten tanzen und Spaß haben. Das geht in Clubs leider oft nicht, Menschen werden komisch angeguckt, wenn sie anders tanzen oder sind wie andere."


Foto-Credit: Elisabeth Moch

Was denkt Lyzza über die aktuellen Diskussionen zu kultureller Aneignung? "Es ist wirklich scheiße! Es kann doch nicht sein, dass nichts wirklich wichtig ist, bevor weiße Menschen es 'entdecken'. Matcha war tausende Jahre ekelig für weiße Menschen, aber plötzlich erklärt Starbucks es für cool und alle trinken es. Das Gleiche gilt zum Beispiel fürs Flechten der Haare. In der Schule wurde ich dafür ausgelacht, wie meine Haare geflochten waren. Und dann ist es 2015 und irgendwelche weißen Menschen entscheiden, dass es modisch und cool ist, sich die Haare so zu flechten, wie POC es immer getan haben und wenn Weiße es tragen, wird es nicht als Ghettolook abgetan. Es ist einfach so ungerecht. Im Musikbusiness ist es genauso schlimm. Wenn weiße Menschen sich an Blackmusic-Elementen bedienen und damit Millionen verdienen, während die POC, die diese Musik schon immer gemacht haben, dafür nichts bekommen. Es ist ja ok, wenn eine weiße Person sich dieser Elemente bedient, aber dann muss sie auch die Credits benennen! Dann sollte sie zumindest, wenn sie erfolgreich ist, andere Menschen, die schon lange diese Musik machen, mit auf Tour nehmen, sie pushen! Wenn man sich daran erinnert, was beim Superbowl 2004 passiert ist, was als Nipplegate-Skandal bekannt wurde: Das hat Janet Jacksons ganze Karriere ruiniert! Sie wurde nicht mehr gebucht. Die Medien haben ihre Musik nicht mehr gespielt, weil sie es so peinlich fanden, dass ihr Nippel im Fernsehen zu sehen war. Gleichzeitig ist Justin Timberlakes Karriere von dem Punkt an steil nach oben gegangen! Dabei hat er seine gesamte Ästhetik aus dem R’n’B bezogen. Ich kann einfach nicht verstehen, warum Menschen so etwas tun, ohne sich überhaupt Gedanken darüber zu machen!"


Foto-Credit: Elisabeth Moch

Lyzza selbst ist aktiv, um solchen Prozessen und anderen Ungerechtigkeiten entgegen zu wirken. "Ich bin in Amsterdam in einer Gruppe, die sich Equalizer nennt. Wir sind eine Gruppe von Frauen*, die sich wöchentlich treffen und reden und sich gegenseitig verschiedene Dinge beibringen. Ich habe zum Beispiel schon mal einen DJ-Workshop gegeben. Wir versuchen langsam, das Patriarchat in der Musikindustrie zu durchbrechen, indem wir alle selbst in der Musikindustrie arbeiten". Zum Glück beginnt eine Menge Menschen in Lyzzas Heimatstadt Amsterdam zu begreifen, dass es einen Umbruch in der Musikszene geben muss. "Wir haben Diskussionen mit Clubs geführt und bringen so langsam die Idee inklusiver Clubszenen durch. Es kann doch nicht sein, dass auf der Bühne immer nur weiße, mittelalte Männer stehen. Wenn du eine Party machst, musst du die Community widerspiegeln! Denn auf einer Party sind nicht nur mittelalte, weiße Männer. Wenn du auch andere Menschen im Publikum haben willst, musst du dafür sorgen, dass sie auch auf der Bühne repräsentiert sind! Es müssen mehr Frauen, mehr POC, mehr queere Menschen gebucht werden, unterschiedliche Musikstile gespielt werden und Abwechslung geboten werden. Menschen wollen nicht auf Partys gehen und sich unwohl und nicht repräsentiert fühlen. Wenn ich auf eine Party gehe und das Line-up rein männlich ist, fühle ich eine große Distanz zwischen der Party und mir. Wenn du mehr Menschen in dein Line-up einbeziehst, die aus einer anderen Community kommen, dann ist das ein erster Schritt, einen sicheren Ort zu schaffen und auch eine inklusive Clubszene".


Foto-Credit: Elisabeth Moch

Zum Schluss gibt es noch zwei Fragen vom Enter-Shikari-Interview an Lyzza. Zum einen fragen sie: "Wenn du eine Farbe verbannen müsstest, welche wäre das?" "Irgendwie hasse ich Lila. Ich mag es einfach nicht. Ehrlich, niemand sieht gut in dieser Farbe aus!" Dabei wurde Lila zur Farbe des Jahres 2018 auserkoren. "Nun", sagt Lyzza und lacht, "dann ist 2018 nun abgesagt!" Es gibt noch eine zweite Frage von Enter Shikari: "Wenn du eines dieser Objekte in dein Publikum werfen müsstest, welches wäre es? A: Ein Ferkel. B: Ein großer Stein C: Das beste Porzellan deiner Großmutter. D: Die Einnahmen aus der gespielten Show." "Definitiv die Einnahmen aus meiner Show! Kannst du dir vorstellen, wie viel Spaß das machen würde? Ich würde das ganze Geld ins Publikum schmeißen lassen und dann würde ich selbst ins Publikum gehen und etwas Geld für mich einsammeln. Am Ende bekommen alle zurück, was sie gegeben haben, das wäre wunderschön!" Lyzza stellt selbst eine Frage an die nächste interviewte Person: "Wenn du fünf Minuten mit Björk hättest und ihr einen deiner Tracks vorspielen könntest, welcher wäre das?" Wie beantwortet sie selbst die Frage? "Es wäre ein ganz neuer Track, ein Remix vom Song 'Airlog' von Lavadome. Ich freu mich so sehr, wenn der Track rauskommt!".

Marlena Julia Dorniak

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