Rezension

Russian Circles
Memorial
Highlights: 1777 // Ethel // Lebaron // Memorial
Genre: Post-Metal
Sounds Like: Pelican // Tides From Nebula // Long Distance Calling // If These Trees Could Talk
VÖ: 01.11.2013

Warum Kunst so großartig ist, hat etliche Gründe. Einer davon ist, dass man sie interpretieren muss. So wecken dieselben Bilder oder Klänge immer wieder neue Assoziationen bei verschiedenen Rezipienten. Welche Idee dem Künstler dabei ursprünglich durchs Hirn schoss? Zweitrangig. Denn der "Konsument" ist immer Teil des Werks, durch ihn wird Kunst überhaupt erst Kunst. Was Russian Circles wohl also mit ihrem "Memorial" meinen? Gab es etwas Denkwürdiges? Einen Schicksalsschlag? Oder was steckt hinter dieser Platte?
Gewagte Prognose: Vermutlich gar nix. So eigen jede Platte von Russian Circles auch daher kam – sei es das künstlerische und sanfte "Geneva" oder das groovig-agile "Station" – so groß war auch die Mühe, ihnen Themen aufzuzwingen. Aber alles Mumpitz: Diese Drei machen einfach, sagen sie. Stecker rein, jammen, jammen, jammen, umarrangieren, Song fertig. Hintergrund, Ansatz, konzeptueller Überbau? Bloß nicht. Im Fall von "Memorial" drängt sich die Frage nach dem Aufhänger aber so sehr auf wie nie.
Denn extremer als auf seinem fünften Album klang dieses Trio noch nicht. Extrem in beide Richtungen: Nie strahlten sie so sehr wie in "1777", nie hüllten sie in so molliges Licht wie in "Ethel", nie hielten sie sich so zurück wie im beatlosen "Cheyene". Andererseits wüteten Russian Circles selten so brutal, warfen so gigantische Schatten. "Deficit" ist ein immer wieder nachtretender Gewaltakt, "Lebaron" wütet, schnaubt Feuer, drückt dich zu Boden. Hin und her schleudert diese Band – wo erst Brisen wehen, tosen später schreckliche Stürme. "Memorial" ist alles andere als bequem.
Genau das macht diese Platte zum besten dieser Band seit "Station". Auch, weil "Memorial" so konsequent als Gesamtwerk hindurch fließt, dabei aber herrlich kompakt ausfällt: In 36 Minuten entwirft die Band diese Welt zwischen Lagerfeuer und Waldbrand, nur zweimal reißen Russian Circles hier die Marke von fünf Minuten. Am Ende glückt sogar das, was sich auf dem Vorgänger "Empros" noch belächeln lassen musste: ein fabelhaftes Gesangsstück. Keine Geringere als Chelsea Wolfe beseelt den Titeltrack zum Abschluss. Verwaschen klingt die Kalifornierin, befremdlich sphärisch – als hätte sie "Memorial" aus einer Glaskugel heraus eingesungen.
Und guck an: Diesmal haben sich Russian Circles tatäschlich einen Kopp gemacht. Das Ende der Platte schließt den Kreis zu ihrem Anfang, greift das warme Picking von "Memoriam" wieder auf. Wie bei "Animals" von Pink Floyd eben, sagt Bassist Brian Cook. Tja, Glückwunsch: Näher an so etwas wie einem Konzept war diese Band nie. Und damit überraschen Russian Circles genau da, wo keiner mehr damit gerechnet hätte. Kriegen auch nur die richtig guten Bands gebacken.
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