Interview
Sivert Høyem
Sivert, dein Album konnte man bislang noch nicht in Deutschland hören. Beschreibe doch einmal bitte, wie "Long Slow Distance" entstanden ist, was anders ist als bei deinen drei früheren Soloalben.
Sivert: Es ist ein wenig experimenteller und dunkler als "Moon Landing". Ich möchte mit jedem Album etwas anders machen. Wenn eine Platte fertig ist, wird die nächste eine Art Reaktion auf diese. Aufgenommen haben wir "Long Slow Distance" in Norwegen. Ich wollte dabei mit jüngeren norwegischen Musikern zusammenarbeiten – es gibt eine gute Szene experimenteller Musik in Oslo.
Wie entsteht dabei die Musik? Schreibst du alle Songs und Instrumentalparts dazu oder lädst du dir Gäste ein, die eine eigene Umsetzung zu deinen Ideen haben?
Sivert: Meistens mache ich den größten Teil. Ich schreibe die Lyrics, die Musik und habe eine Idee, wie alles zusammen klingen soll. Die Gastmusiker bringen ihre Einflüsse mit, aber wenn ich einen Song schreibe, weiß ich schon im Großen und Ganzen, wie er klingen soll. Allerdings sind drei der Songs auf "Long Slow Distance" zusammen mit Cato (Gitarrist der Live-Band, Anm. des Autors) entstanden.
Du sagtest, dein Sound verändere sich von einem Soloalbum zum nächsten. Deine ersten Soloalben erschienen, während Madrugada noch existierten, und klangen im Vergleich dazu wesentlich ruhiger, deutlicher von Blues und Folk inspiriert. Neuerdings nehmen deine Solosachen allerdings mehr den Sound der Band an.
Sivert: Ja. Als ich Teil von Madrugada war, hatte ich zwei verschiedene Kanäle für meine Kreativität, aber nun ist es nur noch einer. Es sind nun eben meine Soloalben, die reflektieren, welche Musik ich gerne mache. Es hat eine Weile gedauert, bis es die aktuelle Richtung eingeschlagen hat. Als ich tourte, merkte ich, dass ich diese dunkle, filmmusikartige Seite vermisste, die wir in der Band hatten.
Dein Album ist bislang nicht hierzulande erschienen. Gibt es Pläne dazu?
Sivert: Wir werden sehen, wir haben uns erst einmal auf Skandinavien konzentriert.
Ich frage daher, weil ich mich wunderte, wie bekannt du in Norwegen bist, im Vergleich zu Deutschland. Du hast auf der Nobelpreisverleihung gespielt und "Long Slow Distance" nahm sofort Platz 1 der Charts ein. Ist es derzeit schwer, einen Vertrieb für den Rest der Welt zu finden?
Sivert: Ich weiß es nicht, es war zumindest einmal einfacher. Wie du weißt, sind es gerade harte Zeiten für die Musikindustrie und es ist schwerer geworden – gerade wenn du kein Popmusiker ist. Derzeit bin ich eine Art "Indiekünstler" und mache meine eigenen Alben und vertreibe sie. Es ist ziemlich harte Arbeit, die ganzen Arrangements mit den Plattenfirmen zu treffen.
Wie stehst du generell dazu, Musik nur noch digital zu veröffentlichen?
Sivert: Ich denke, das ist der derzeitige Lauf der Dinge. In einigen Jahren werden wir keine CD-Läden mehr haben, aber die Leute werden weiterhin Alben auf Konzerten kaufen. Einige Menschen wird es immer geben, die die Platten physisch besitzen wollen. Es wäre ein wenig traurig, wenn die Musik nur digital erhältlich wäre.
...weil es dann nichts mehr ist, was man in den Händen halten und aus dem Plattenschrank hervorsuchen kann...
Sivert: Ja, das ist die Art und Weise, wie ich Musik höre. Es gibt eine Menge Nostalgie, die mit Musik verbunden ist und eine Menge Erinnerungen. In gewisser Weise ist Musik zwar nur ein Produkt, aber es ist mehr als das, es ist Kunst.
...und dazu gehört eben auch das Artwork.
Sivert: Ja, das ist der physische Aspekt. Früher, als noch nicht alles immer überall über das Internet verfügbar war, musstest du nach Alben "jagen", Dinge für dich selbst herausfinden. Ich vermisse das alles ein klein wenig und denke, dass es hart sein muss für junge Musiker, die gerade starten und damit konkurrieren, dass alle Musik der Welt verfügbar ist.
...auf der anderen Seite kann es jedoch auch einfacher sein, da man schnell ein weltweites Publikum ansprechen kann und sich nicht erst klein in den Clubs der Umgebung hochspielen muss...
Sivert: Möglicherweise, aber wenn du gut darin bist, live zu spielen, bist du in einer guten Situation.
Gibt es einen Ort, an dem du gerne einmal live spielen würdest?
Sivert: Madison Square Garden, New York, das wäre ein guter Indikator dafür, dass du darin wirklich gut bist. Ich weiß nicht, ob ich es mögen würde, dort zu spielen, es ist nur eine Art Ziel. Ansonsten würde ich gerne noch einmal im Paradiso in Amsterdam spielen. Eines Tages werde ich dorthin zurückkehren.
Welche Pläne hast du sonst für die Zukunft, hast du schon Ideen, wie deine nächsten Alben klingen werden?
Sivert: Ich möchte, dass sich die Dinge weiterentwickeln. Ich hatte einen wirklichen Bruch, als Robert (Buras, ehemaliger Gitarrist von Madrugada) starb und unsere Band sich auflöste. Ich arbeite daran, dass ich Musik mache, die die Menschen nach wie vor hören möchten. Sie sollen verstehen, dass ich auch nach dem Ende der Band als Musiker weitermachen kann. Ich möchte weiterhin touren, und ansonsten habe ich vor, in Zukunft Dinge zu tun, die etwas simpler klingen....
Mehr in Richtung Popmusik oder einfacherer Strukturen?
Sivert: Das aktuelle Album ist sehr komplex, mit großen Soundlandschaften und Stücken, die acht bis neun Minuten lang sind. Nun denke ich darüber nach, Musik zu machen, die auf die essentiellen Dinge reduziert klingt. Dabei möchte ich mich auf den Einsatz meiner Stimme fokussieren. Allerdings möchte ich kein normaler Singer/Songwriter sein, das ist für mich nicht interessant, sondern nach wie vor "Rockalben" veröffentlichen. Ich möchte den Leuten einfach nur meine Idee von Musik näherbringen
Ein wenig zurück in die digitale Welt. Im Gegensatz zu anderen Bands, die lediglich eine Webseite betreiben, auf denen ab und an News stehen, kommunizierst du sehr viel über Social Media, wie deinen Blog oder Facebook. Warum machst du das?
Sivert: Bevor ich begann, die Facebookseite zu führen, dachte ich, dass dies nichts ist, was mich interessieren würde. Aber es stellte sich heraus, dass es eine gute Unterhaltung sein kann. Außerdem hilft es mir, mehr gehört zu werden. Wie vorhin schon gesagt, haben sich die Zeiten geändert und es ist schwierig, wenn du keine große Plattenfirma hinter dir hast, die dich unterstützen kann. Also muss man die Möglichkeiten nutzen, die sich einem bieten.
Du hast ja einige Zeit in Berlin gelebt.
Sivert: Ja, 2002, als wir "Grit" aufnahmen.
Hast du den Tag jetzt genutzt, um dir die Stadt wieder ein wenig anzusehen?
Sivert: Nein, heute nicht. Aber morgen habe ich einen Tag frei und werde mir die Stadt ansehen. Allerdings habe ich bislang keine Pläne. Außer schlafen zu gehen. (lacht)
Wie ist das eigentlich normalerweise auf Tour? Bekommst du etwas von den Städten mit, in denen du spielst?
Sivert: Normalerweise versuche ich schon, ein wenig von den Orten zu sehen. Irgendwas werde ich mir morgen anschauen gehen, zunächst allerdings erst einmal mein Hotelzimmer.
Hast du irgendetwas Spezielles, das du aus deiner Berlinzeit kennst?
Sivert: Ich habe zwar hier gelebt, war aber kaum da. All meine Sachen lagen in einer Wohnung, aber ich war meistens im Studio oder auf Tour. So bekam ich nie das Gefühl, Berlin wäre für mich irgendeine Art "Heimat". Es ist auch ein wenig traurig, dass ich damals nicht viel mit Deutschen in Kontakt kam, ich hatte genug norwegische, englische oder amerikanische Freunde hier. Ich habe sogar Deutsch vier Jahre lang in der Schule gelernt und als ich hier war, habe ich mit kaum jemandem gesprochen. Wirklich schade, denn ich mag die Stadt.
Wie sieht es denn mit deinen Liveplänen für die nächste Zeit aus, sehen wir dich auf den Festivals wieder?
Sivert: Das ist der Plan, ja, aber bislang ist noch nichts fix. Anfang des Jahres nehmen wir uns eine kleine Auszeit und wollen dann im April/Mai touren. Vielleicht kommen wir wieder hierher oder eben auf die Festivals – wir werden sehen.
Letzte Frage: Welche Musik hörst du momentan?
Sivert: Ich mag die Platte von Kurt Vile, sie ist wirklich gut. Momentan höre ich viel von einer Frau namens Judie Sill, eine amerikanische Singer/Songwriterin. Sie macht sehr fragile Musik. Als wir das Album aufnahmen, hörten wir Sachen wie die Cocteau Twins oder ein wenig norwegischen Black Metal wie Mayhem oder Burzum...
...um ein wenig die dunklere Seite kennen zu lernen...
Sivert: (lacht) Ja, einige der Dinge dort waren auch für uns interessant, zum Beispiel die Art und Weise der Produktion und speziell bei Burzum haben mir die Gesangsparts gefallen. Offensichtlich ist der Sänger kein netter Typ (saß unter anderem wegen Mordes im Gefängnis, Anm. des Autors), aber die Musik, die er gemacht hat, schätze ich.
Sivert, wir danken dir für das Interview.
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Rezension zu "Endless Love" (2014)
Rezension zu "Moon Landing" (2010)
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