Interview
Niels Frevert
Zuerstmal: Ich habe mir deine Pressemappe bei Tapete Records angeguckt, da war ja eine Menge drin über dich. Hättest du damit gerechnet? Es ist schließlich nun schon fünf Jahre her, dass dein letztes Album erschienen ist. Hättest du erwartet, dass es einen solchen großen Rummel um dich und "Du kannst mich an der Ecke rauslassen" gibt?
Niels Frevert: Naja. Ich mache das Album, so gut es geht, damit es auch Rummel gibt. Und ich denke, gerade wenn man sich ein bisschen rarer macht, gibt es einen Grund, etwas darüber zu schreiben. Es ist schon viel gelaufen, aber hauptsächlich im Feuilleton, die ein oder andere Musikzeitschrift hat das ja auch ignoriert.
War das bei deinen letzten Alben auch schon so, dass die hauptsächlich im Feuilleton Beachtung gefunden haben?
Niels: Diesmal schon mehr, das stimmt. Diesmal war das mehr der Feuilleton, nicht diese typische Rockmusikpresse, aber das Album geht ja auch schon im allerweitesten Sinne mehr in Richtung Lied, in Richtung Chanson. In Frankreich würde es wahrscheinlich unter "Nouvelle Chanson" fallen. Da ist es klar, dass sich ein bestimmter Bereich der Presse dann auch angesprochen fühlt und gerne was schreibt, weil es – denke ich, mal ganz unbescheiden – eine Platte ist, die es so zur Zeit anderswo nicht gibt auf Deutsch; in ihrer Eigenständigkeit und ihrer Instrumentierung.
Jetzt hast du dich gerade schon von ganz viel Rockmusik abgegrenzt. Was ich mich ansonsten nämlich gefragt hätte, ist das: Seit dein letztes Album herausgekommen ist, ist es ja auch wieder moderner und "cooler" geworden, auf Deutsch zu singen. Spielt das für dich eine Rolle?
Niels: Das berührt mich tatsächlich nicht so, weil ich ja auch schon ein bisschen länger Musik mache. Anfang der 90er hieß es von den Plattenfirmen "Singt mal auf Englisch, dann können wir euch vielleicht unter Vertrag nehmen", da haben wir gesagt "Seid ihr nicht ganz dicht?". Dann ging das mit Nationalgalerie los [Niels' ehemalige Band, die sich 1996 auflöste, Anm. des Autors], dass plötzlich MTV und andere Stationen darauf angesprungen sind. Und ich glaube, dass das vielleicht auch ein bisschen was in die Wege geleitet hat. Aber mich interessiert nicht so, was gerade gut geht, was gerade läuft, und ich bin mittlerweile auch an dem Punkt angekommen, dass ich Platten mache, die mir selber gut gefallen, und alles andere interessiert mich dabei einfach nicht.
Du hast auch die Instrumentierung erwähnt, die einen Schritt von dem weg geht, was du davor gemacht hast. Kannst du mit dem Finger drauf zeigen, wie es dazu gekommen ist?
Niels: Mit dem Finger drauf zeigen nicht, aber ich kann natürlich sagen, dass ich irgendwie weiter gehen möchte, für mich Neuland betreten und was entdecken möchte. Ich finde es total uninteressant, mehrere Platten nacheinander zu machen, die ähnlich klingen. In meiner Diskographie wirst du auch sehen, dass da immer eine Entwicklung stattgefunden hat. Das ist für mich ganz wichtig. Es ist auch wichtig, dass es für mich einen Reiz ausmacht. Überhaupt gibt es mit deutschen Texten inzwischen soviel, und ich denke, da sind vielleicht auch welche dabei, die das, was ich früher gemacht habe, jetzt besser können als ich. Ich hab angefangen, Songs zu schreiben, die so ähnlich waren wie auf der Platte davor und dann gedacht "Nee....". Das war einfach eine emotionale Entscheidung.
Glaubst du denn, dass einige der neuen Lieder auch funktioniert hätten, wenn sie wie deine älteren Stücke instrumentiert gewesen wären? Wenn du sie live spielst, ähneln sie ja den älteren Liedern schon mehr als auf Platte.
Niels: Gerade jetzt in diesem Festival-Zusammenhang natürlich immens, weil da auch technische Gründe dazukommen. Aber wenn du zu den Konzerten kommst, die ich solo spiele, dann klingt das schon sehr viel mehr nach der neuen Platte. Das hat, glaube ich, auch viel damit zu tun, dass ich nach "Seltsam Öffne Mich" [Niels' letztes Album aus dem Jahr 2003, Anm. des Autors] nicht ein einziges Bandkonzert gehabt, sondern immer alleine gespielt habe. Ich glaube, dass sich dadurch auch bei mir eine Menge verändert hat, in der Art, wie ich singe. Und die Reduzierung der Songs auf den Kern hat da auch live stattgefunden, und das hatte auch einen großen Einfluss auf mein Schreiben.
Da schneidest du auch ein ganz interessantes Thema an, denn dadurch, dass die Songs weniger rockig und mehr akustisch sind, stechen Gesang und Texte sehr viel mehr heraus. Ich hab in einem Interview, das die SPEX mit dir über das Texten geführt hat, auch gelesen, dass das Texteschreiben bei dir immer ein langer, mehrstufiger Prozess ist, dass du verschiedene Notizblöcke für bestimmte Phasen des Schreibens hast. Das kann ja nur wirklich klappen, wenn du dir länger Zeit nimmst für ein Album. Bei der Nationalgalerie waren die Abstände viel kürzer.
Niels: Ja, das war fast brutal, so vier Alben in fünf Jahren zu machen. Ich genieße es schon, mehr Zeit zu haben, aber ich denke, dass die nächste Platte früher als in vier Jahren kommen wird. Ich denke auch, dass ich mit der letzten Platte schon einen großen Schritt gemacht habe, denn es geht für mich auch darum, eine Platte mit Musik zu machen, die ich auch in zehn Jahren noch gut live spielen kann, ohne dass ich rüberkomme wie jemand, der irgendwie jung geblieben sein will. Ehrlich gesagt frag ich mich nun auch schon manchmal: "Was für Musik will ich denn machen, wenn ich Ende 40 bin oder so?"
Glaubst du denn, dass das eine Frage des Alters ist? Und dass man das, was du mit Nationalgalerie gemacht hast, in einem bestimmten Alter nicht mehr machen kann?
Niels: Nationalgalerie ist so weit weg. Ich muss ganz ehrlich sagen, das hat mit dem, was ich momentan mache, nur noch sehr, sehr wenig zu tun. Natürlich liegt das auch am Älterwerden, und ich mache sogar im Moment viel lieber Musik als vor 15 Jahren. Früher war das immer so ein Kampf mit der Band, und ich hab das nun viel mehr selbst in der Hand und kann versuchen, meine eigenen Visionen zu verwirklichen. Das bringt mich viel näher an die Musik selbst heran und vielleicht auch an die Geschichten, die ich erzählen möchte.
Wo du gerade bei deinen Geschichten bist: Du hast im SPEX-Interview auch erwähnt, dass du sehr viel reduzierst, "lieber ein Wort zu wenig als ein Wort zuviel". Hast du andere Schreiber, an denen du dich orientierst? "Vorbilder" ist so ein blödes Wort...
Niels: Also Vorbilder habe ich sowieso nicht. Natürlich gibt es eine Menge Musik, die Geschichten erzählt, die mir viel bedeutet. Elliott Smith als Allererster. Es gibt auch in Deutschland eine ganze Palette Singer/Songwriter, Tom Liwa, Bernd Begemann, Tilman Rossmy... Als aktuelles Beispiel auch Gisbert zu Knyphausen. Die haben was zu sagen, und in dem großen Zusammenhang kann man meine Sachen auch sehen.
Du bist auch ein großer Hildegard-Knef-Freund. Gibt es einen bestimmten Grund, dass du auf "Du kannst mich an der Ecke rauslassen" gerade das Lied "Ich möchte mich gern von mir trennen" gecovert hast?
Niels: Ja, weil es eben ganz besonders das repräsentiert, was ich an Hildegard Knef so sehr schätze. Sie hat so düstere Texte, die aber durch die Instrumentierung so leicht interpretiert werden, dass man eigentlich gar nicht merkt, was da Dramatisches gesungen wird. Das macht für mich sehr den Reiz aus.
Du hast auch gemeint, dass du bei Textzeilen oft denkst, "Kann ich das singen?", dass also der Text quasi zuerst kommt. Passiert das auch manchmal umgekehrt, dass zum Beispiel eine Melodie am Anfang steht?
Niels: Ich arbeite hauptsächlich so, dass ich eine Melodie und eine Textzeile habe und dann den Rest der Melodie und dann den Rest des Textes zuende schreibe. In der Tendenz immer zuerst die Musik.
Das klang in der SPEX ganz anders.
Niels: Naja, ich sammle schon Textzeilen, aber um das dann wirklich zu ordnen, muss schon ein Teil Musik – ein paar Akkorde – da sein. Vom reinen Songschreiben her ist die Melodie zuerst da, glaube ich.
Ist auf dem neuen Album ein Song dabei, der dir besonders viel bedeutet?
Niels: "Waschmaschine". Rein musikalisch ist der für das Neuland, das ich betrete, das Paradebeispiel, glaube ich. Vielleicht auch, weil ich an diesem Lied am Längsten gesessen habe. Er war einer der ersten Songs, den ich für das neue Album geschrieben habe, aber die Fertigstellung hat mich dann ein ganzes Jahr begleitet. Der Song bedeutet mir generell sehr viel.
Zum Ende hin habe ich nun eine "offenere" Frage: In "Der Typ, der nie übt" sagst du, du hättest "eine leise Ahnung, worum es eigentlich geht". Worum geht es denn eigentlich?
Niels: Naja, in dem Lied geht es darum, dass immer die Frage auftaucht: Wie geht es denn jetzt weiter? Ich habe eine SMS von einem Freund bekommen, der schrieb: "Ja, und immer wieder diese Frage, wie es weitergeht." Da dachte ich: "Stimmt!", und so ist dieser Song entstanden. Es gibt ja immer eine Art Ungewissheit. Das Gefühl, worum es eigentlich geht, finde ich immer etwas riskant.
Also kann man das nicht klar definieren?
Niels: Jemand, der das klar definieren kann, wäre mir auf jeden Fall sehr verdächtig.
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