Rezension

Paul Weller

Sonic Kicks


Highlights: That Dangerous Age // The Attic // Paper Chase
Genre: Pop/Rock // Synthie-Pop // Space-Rock // Psychedelic // Dub // Soul // Jazz
Sounds Like: The Style Council // Drifters // Ocean Colour Scene // David Bowie // Neu!

VÖ: 23.03.2012

Paul Weller, dieses Tier! Der ewige Mod und Dandy mit seinen vielen musikalischen Gesichtern gibt sich erneut stilsicher und konsequent eigensinnig. Derselbe Herr, der The Jam in ihrer Blütezeit auflöste, mit seinem Style Council teils schockierte aber gelenkig blieb, der seit Mitte der Neunziger eine unvermeidliche Solokarriere mit Alben wie „Wild Wood“ oder „Heavy Soul“ erfolgreich anging, macht auch auf seinem elften Soloalbum alles andere als berechenbaren Kram. Der Titel „Sonik Kicks“ könnte es womöglich andeuten, dass hier ein alter Herr etwas zwanghaft versucht, rebellische und laute von R&B und Motown beeinflusste Punk-Nümmerchen an den Mann zu bringen. Weit gefehlt!

Das Album reiht sich nahtlos ein in ein Triumvirat einer etwas unberechenbaren und experimentellen Alben-Trilogie, angefangen mit „22 Dreams“ (2008) über „Wake Up the Nation“ (2010). Als sei dies eine Antwort des alten Mod auf Bowies Berlin-Trilogy. Einzig der Nadelstreifenanzug mit passendem Einstecktuch scheint das Konstante in 30 Jahren Weller’scher beeindruckender Musikgeschichte. Neben dem bekannten Mikrokosmos aus Rock, Soul, Jazz und Funk haben es ihm seitdem vor allem neue Ideen angetan. Auch „Sonik Kicks“ ist erneut eine Wundertüte, ein 14-teiliges Stückwerk, welches einen Bogen spannt von kantigem Rock über von Streichern getragenen Balladen bis hin zu traumhafter Psychedelic. Jeder Song verziert mit Art-rockigen und auch Space-rockigen Fragmenten. Sei es damit erledigt? Nö! Vor allem teils abartige Stilbrüche fallen auf. Motorischer Krautrock à la Neu! fadet zu getragenem und fast besinnlichem Pastoralgesang (von Wellers eigener Frau) und endet im jazzy Heavy Dub („Study In Blue“). Kein Witz! Ein bisschen Off-Beat wie in „Kling I Klang“ verkraftet man da leicht.

Eine irrwitzige Soundcombo fährt Weller hier auf und doch wirkt das selten billig oder nostalgisch. Vielerlei Stile werden zwar aufgegriffen aber nicht bloß zitiert. Das ist gut so und gefällt. Nennen wir es mal das Filtern von Genres durch die standesgemäße, dunkle Sonnenbrille Wellers. Er versprüht einen erstaunichen Experimentiergeist, eine unverkennbare Kreativität und seine einzigartige musikalische Sozialisation machen all das zu einem hörenswerten Ausflug im Fach Musikgeschichte. Sieht man von einigen, vermeintlichen No-Gos wie beispielsweise die benannte Off-Beat-Nummer ab, wäre „Sonik Kicks“ ein ebenso gelungenes Werk wie die beiden Vorgänger. Betonung auf „wäre“!

Bei aller Ehrfurcht, nicht nur vereinzelt treiben diese „Experimente“ einem einfach Tränen in die Augen. Sicherlich gehört einer etablierten Größe Respekt gezollt, die Neuem gegenüber offen bleibt und nicht selbstgefällig die eigene Rolle im Kanon der Rock-Geschichte bequem vom Sofasessel aus verfolgt, allerdings ist das Gegenteil, als Rock-Opa noch so klingen zu wollen wie der neueste Shit aus UK, ebenso zweifelhaft. Wären doch nur alle Songs so locker aus der Hand gespielt wie beispeilsweise "The Attic".  

Paul Weller ist und bleibt Mod-Revivalist. Das sollte er nicht nur mit seiner ergrauten Frise zeigen! Nichts spricht gegen experimentelle Ausflüge, wenn man aber den Eindruck gewinnt, es handle sich dabei um eine Art Schönheits-OP zu kosmetischen Zwecken, ist wohl irgendwas schief gelaufen. Einer der allzu ehrfürchtigen Gäste auf dem Album, unter anderem Graham Coxon oder Noel Ghallager, hätten Weller das ruhig ganz beiläufig stecken können.

Achim Schlachter

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That Dangerous Age

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