Rezension

LCD Soundsystem

American Dream


Highlights: Oh Baby // How Do You Sleep? // Tonite // American Dream // Black Screen
Genre: Dance // Rock // New Wave // Punk // Industrial
Sounds Like: Talking Heads // Suicide // Hot Chip

VÖ: 01.09.2017

Dass LCD Soundsystem zurück sind, dürften mittlerweile wirklich alle mitbekommen haben, die sich ein bisschen mit Musik beschäftigen. Nach pompös inszeniertem Schlussakkord im New Yorker Madison Square Garden 2011 wurde die Reunion vor mittlerweile fast zwei Jahren bekanntgegeben, im Jahr 2016 massenweise Festivals bespielt. Dies hier soll keine Abhandlung über den Sinn oder Unsinn der Reunion sein, denn die wird mit „American Dream“, dem ersten Studioalbum seit sieben Jahren, hinfällig. Diese Platte an sich rechtfertigt, dass diese Band wieder und weiterhin zusammen Musik macht. LCD Soundsystem klingen nach wie vor völlig einzigartig, aber diese zweite Phase der Band kopiert auch nicht einfach nur die alte.

„American Dream“ ist, das überrascht beim ersten Hördurchgang dann doch, ein wesentlich düstereres Album geworden. Hauptkomponente ist nicht mehr Dance/Punk/Rock, viel eher besinnt Mastermind James Murphy sich auf seine musikalische Sozialisation in den 80ern – New Wave und Industrial sind hier die Koordinaten, dennoch geht die Tanzbarkeit nicht verloren. Es ist eben trotz leicht anderer Orientierung immer noch LCD Soundsystem. Denn wie diese Band sich auch musikalisch orientiert – das Handwerk bleibt dasselbe, elektronische Musik mit analogen Instrumenten bis hin zu alten, riesigen Synthies, der Sound ist absolut unverkennbar. Hier hat Murphy einen einzigartigen Raum geschaffen und dazu mit seinen Freund*innen Al Doyle (Hot Chip), Nancy Whan, Tyler Pope, Gavin Russom und Pat Mahoney die perfekten Mitstreiter*innen gefunden.

Liebhaber*innen der Band dürfte beim ersten Song „Oh Baby“ unvermittelt das Herz aufgehen bei den ersten Synthie-Klängen. Der Opener ist direkt ein starkes Highlight der Platte, ein zeitloser Song. Eine Art moderne, dystopische Version von Suicides New-York-City-All-Time-Klassiker „Dream Baby Dream“. Hier fällt auf: Murphy singt viel weicher als gewohnt, einfühlsam und nachdenklich. Murphy ist in seinem Ausdruck vielfältiger geworden, und dennoch charakteristisch wie eh und je, zumeist doziert er auf seine schluffige Art vor sich hin, mal fängt er unvermittelt an zu quatschen, stets auf den Punkt, stets auf den Rhythmus. Es ist Murphy hoch anzurechnen, dass er in seinen Texten immer noch ähnliche Themen abhandelt, er ist ein lässiger Spiegel des Lebens in westlicher Urbanität unserer Zeit mit all seinen Struggles, und dennoch nicht zur Kopie seiner selbst verkommt. Das liegt auch daran, dass er im Songwriting bewusst den Fokus nicht nur auf sein heutiges Ich legt, sondern nach eigener Aussage auch aus der Perspektive seiner Selbst in den 80ern oder 90ern schreibt. In der Literatur sei das „völlig gängig“, so Murphy, nur in der Musik gingen alle Hörer*innen immer davon aus, es ginge um das heutige Ich der Künstler*innen. So ist „Oh Baby“ vermutlich einer der Songs, der aus einer 80er-Perspektive geschrieben ist.

„American Dream“ ist ein Album, das in sich sehr schlüssig ist, konstant auf hohem Niveau. Kernstück ist das düstere „How Do You Sleep“, in dem der Industrial-Einschlag wohl am stärksten auffällt. Hier geht es um die Entfremdung von einer nahen Person, nahezu verzweifelt ruft Murphy der Person hinterher, ehe ein tiefer Bass-Synthesizer die Verzweiflung wütend wegfegt und ein nachdenkliches, tanzbares Gewitter losbricht. Mit „Tonite“ folgt eine Murphy-typische, augenzwinkernde Popkultur-Abhandlung. Der Titelsong „American Dream“ ist definitiv ein Grower und vor allem ein großes Live-Erlebnis, hier besteht Unterschätzungsgefahr. Noch etwas rotzigen New Wave gibt es mit „Emotional Haircut“, einem baldigen potentiellen Live-Highlight. Dieser Song zählt mit fünfeinhalb Minuten zu den kürzeren der Platte, deren Songs sich über bis zu 12 Minuten Länge entfalten.

So lang ist der abschließende Song „Black Screen“, eine recht explizite, traurige Verlustgeschichte, die recht eindeutig etwa David Bowie gewidmet ist, mit dem Murphy befreundet war. Es macht ihm zu schaffen, wie viele Musiker*innen, die ihm so viel bedeutet haben, in den letzten Jahren gestorben sind. Dies hier ist ihr Denkmal, und leise verabschiedet sich mit ihm das Album zu perfekt komponierten Synthie-Klängen. Stücke wie dieses gab es im Repertoire LCD Soundsystems vorher nicht, die Band um James Murphy schafft den Spagat, etwas Neues zu kreieren, ohne den Kontext der vorherigen drei Platten vollkommen zu verlassen. „American Dream“ ist ein großartiges Kunstwerk und es ist ein Glück, dass es diese Band (wieder) gibt. Von ihr ist offenbar noch viel zu erwarten.

Daniel Waldhuber

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