Interview

Sportfreunde Stiller


Florian Weber ist ein Multitalent. Autor eines Romans, Sänger der Bolzplatz Heroes und natürlich Schlagzeuger bei Sportfreunde Stiller. Er trägt höchstsympathisch einen Mogwai-Sweater, und nachdem wir hier in der Frankfurter Jahrhunderthalle die ersten Minuten der Interview-Zeit über Fußball gequatscht haben, kommen wir doch noch zum Wesentlichen. Zumindest meistens.

Ihr habt gestern in Stuttgart euren Tourauftakt gefeiert, wurden eure Erwartungen erfüllt?

Flo: Ja schon. Wir haben in der Vergangenheit schon Tourauftakte gefeiert, die wirklich in die Hose gingen, gestern war es der beste Tourauftakt unserer Karriere, das Publikum war sehr dankbar. Dennoch hatten wir ein Missgeschick auf der Bühne, das wohl als das schwerste in unsere Karriere eingeht. Wir haben das aber humorvoll kaschiert.

Was ist da passiert?

Flo: Wir haben ein neues Lied gespielt, das wir bisher am wenigsten geprobt haben, wollten es aber unbedingt spielen, "Anders als auf Ansichtskarten" war es. Im Playback laufen im Hintergrund Geigen und wir hatten den Ablauf nicht mehr ganz im Kopf und jeder hat dann irgendwas anderes gespielt, haben das dann auch eisern durchgezogen die restlichen zwei Minuten, das Publikum hat gelacht und wir sind auch in schallendes Gelächter gefallen.

Ihr habt für diese Tour die richtig großen Hallen gebucht. Was meinst du wie es wird?

Flo: Es ist uns jetzt nicht unbedingt wichtig, ob wir vor 20 oder 20.000 Leuten spielen, in einem kleinen Club, in großen Hallen oder bei einem Open Air. Das Gefühl ist das gleiche, wir sind immer noch mit Freude dabei und richtig nervös, können immer noch Spannung aufbauen. Wir müssen schon aufpassen, dass es nicht überhand nimmt, es muss auch passen. Wenn wir jetzt natürlich in 12.000er Hallen spielen und es kommen nur 3.000, ist das ein bisschen blöd. Es kann auch sein, dass wir uns auf dieser Tour etwas übernommen haben, aber bis jetzt gehts noch.

In Köln habt ihr ja zur Abwechslung noch einen kleinen Benefizgig im Prime Club gebucht, der Erlös geht an einen guten Zweck.

Flo: Genau, für die Oase, eine Kölner Institution, die Obdachlose unterstützt und auch eine Obdachlosen-Zeitschrift herausgibt. Wir unterstützen auch in München die Obdachlosenzeitung Biss und kamen dann recht schnell auf die Idee, im engen Rahmen ein Benefiz-Konzert zu spielen. Schön, dass es schnell ausverkauft war und so dann auch eine enorme Summe zusammenkommt.

Wie kam es denn zu eurer Freundschaft mit Ash, die euch dieses Jahr schon zum zweiten Mal nach 2004 begleiten?

Flo: Ash waren für viele Indiemusikliebhaber ein Trend und wir haben sie mit ihrer großartigen Platte "1977" schon lieben gelernt und haben einfach mal angefragt und da kam heraus, dass sie auch daran interessiert sind und so hat sich vor drei Jahren eine gute Freundschaft entwickelt. Und da war uns dann auch wichtig, einfach noch mal nachzufragen, sie haben nicht lange überlegt und jetzt wollen wir wiederholen, was wir vor drei Jahren erlebt haben, das war wirklich sehr schön.

Die vermutlich mittlerweile obligatorische WM-Frage: Wie habt ihr sie verbracht? Und wie habt ihr den Hype um euch aufgenommen?

Flo: Wir waren verrückt auf die Spiele und wollten unser langjähriges Versprechen, einen WM-Song zu schreiben, gar nicht umsetzen. Aber dann kam doch eine Idee, aus der Idee wurde eine Single, aus der Single eine EP, aus der EP ein Album. Wir haben das einfach rausgehauen, ohne uns groß Gedanken darüber zu machen. Dass "54, 74, 90, 2006" in die Stadien kommt und sich so verbreitet, haben wir uns nicht träumen lassen. Am Anfang haben wir das eher belustigt aufgenommen, Mitte der WM wurde uns erst bewusst, was das für Wellen schlägt und schon waren wir mittendrin im Hype. Wir haben skurrile Momente erlebt. Wir haben Pele kennengelernt. Wir haben nicht lange überlegt, was das für die Zukunft bedeutet, wir haben es einfach mitgenommen.

Manche sind nach der WM in ein Loch gefallen, der Alltagstrott war wieder da, die Euphorie schnell weg. Bei euch eher nicht, oder?

Flo: Nein, überhaupt nicht. Wir haben einen Monat Urlaub gemacht und dann ging es schon wieder ins Studio. Die Euphorie haben wir mitgenommen und ins Album gesteckt, auch wenn es thematisch nicht sehr viel mit dem Sommer 2006 zu tun hat, sogar eher eine Spur melancholischer wirkt.

Stimmt, sportliche Themen sucht man vergebens.

Flo: Ja, das war uns auch wichtig.

Dafür habt ihr Lieder drauf, die ein bisschen wie alte Bekannte wirken. "Alles Roger" als eine Art Fortsetzung zu "MfG" von den Fantastischen Vier, "995er Tief über Island" erinnert an "Westerland" von den Ärzten.

Flo: Der Ärzte-Vergleich ist unserem Produzenten Uwe, der mit den Ärzten arbeitet, auch aufgefallen. Im Prinzip war ja aber schon alles mal da, so wars uns egal. Ich denke, wir haben den sehnsüchtigen Charakter im Lied ganz gut getroffen. Es geht mollig los, im Refrain wirds dann zu Dur. Eine gewisse Nähe zu "Westerland" hat uns da nicht gestört. Ich respektiere die Ärzte sehr, bin aber kein wahnsinnig großer Fan und so haben wir da auch nichts abgekupfert. Den Vergleich mit "MfG" habe ich auch schon mal gehört und finde ich auch richtig, aber das war auch unbewusst. Wenn wir was kopieren, dann machen wir das auch ziemlich deutlich, so wie bei "10:1" die Verneigung vor den Kinks mit "Lola". Wobei Oasis zum Beispiel ja offen zugeben, dass sie klauen - und wenn man es gut macht, dann darf man es auch.

Was hat Rüde denn angestellt, dass er auf der neuen Platte mal singen darf?

Flo: "Sodom" war ihm sehr wichtig. Im Proberaum hat er sich in der dritten Strophe das Mikro geschnappt und dann wurden wir ihn nicht mehr los. Bei den Aufnahmen haben wir ihn auch singen lassen und haben dann beim Mischen gedacht, ach komm, so schlecht klingts gar nicht und haben ihm diese zwanzig Sekunden gewährt als Dank, dass er dieses Lied geschrieben hat.

Auf eurer myspace-Seite findet man einen Song als kostenlosen Download namens "Antinazibund". Werdet ihr jetzt politisch?

Flo: Das ist ein Statement, das uns wichtig ist. Als politische Band würde ich uns nicht bezeichnen. Wir haben politische Haltungen, wenn wir etwas ansprechen wollen, dann verstecken wir es eher in Metaphern. Nicht mit dem Vorschlaghammer drauf, aber schon ziemlich klare Worte finden.

Was auch schon länger und immer mal wieder im Gespräch ist - ein Album auf Spanisch. Gibts da mittlerweile was Neues?

Flo: Die Idee ist da, die Zeit leider nicht. Wir haben mit Ash in Spanien gespielt und fünf Songs auf spanisch übersetzt, unter anderem "Ein Kompliment" und "Komm schon". Das ist ganz gut angekommen beim Publikum, sie haben natürlich über unsere Aussprache gelacht, aber fanden es sehr amüsant. Die Idee, irgendwann ein spanisches Best-Of-Album zu machen, kocht zumindest weiter in uns.

Ganz neue Lieder schreiben wollt ihr dafür also eher nicht?

Flo: Wäre lustig, aber ich glaube, dafür haben wir zu wenig Zeit. Wenn man neue Lieder macht, dann will man in erster Linie schon auf Deutsch singen. Aber wir haben ja schon einige Lieder angehäuft und die einfach zu übersetzen wäre wohl der einfachere Weg.

Für eure italienischen Songs hattet ihr es da einfacher, oder?

Flo: Ja, Peter ist der italienischen Sprache zu etwa 80% mächtig, war Austauschschüler in jungen Jahren, hatte Latein-Leistungskurs. Uns war auch von Anfang an wichtig viel auszuprobieren, damals mit "Novanta Quattro" und auf der letzten Scheibe den italienischen Fußball anprangernd mit "Como Sara".

Seid ihr denn Fans vom italienischen Fußball?

Flo: Wir sind einfach für faire Verhältnisse. Was da mit mafiosen Machenschaften abgeht, was mit Juve passiert ist, die hätten in Deutschland für immer die Lizenz verloren und dort wird dann mit Berlusconi geschäkert und fast alles ist beim Alten, das ist schon verheerend.

Bleiben wir mal grob beim Thema Fußball. Euer Tourpraktikant ist Mehmet Scholl. Wo steckt er denn?

Flo: Heute ist er nicht dabei. Er wollte unbedingt mal das Tourleben mitmachen, nach all den Jahren der Enthaltsamkeit. Da haben wir gesagt, bitte, bitte, komm mit, aber du musst dann natürlich auch Kisten schleppen, Gitarren putzen, Schlagzeug aufbauen und er sagte er machts. Jetzt hat er aber erfahren, dass die erste Etappe der Tour sich mit der Wiesn in München überschneidet und er hat jetzt zwanzig Jahre gewartet, dass er mal täglich auf die Wiesn gehn kann und will sich erstmal zwei Wochen betrinken und dann zu uns stoßen.

Was habt ihr denn noch so mit ihm vor? Nehmt ihr ihn mal mit auf die Bühne?

Flo: Wir haben ihm vor einem Jahr eine Gitarre geschenkt und er übt schon fleißig. Vielleicht darf er dann auch mal bei "Ich Roque" auf der Bühne mitspielen.

Wie war denn seine Abschiedsfeier mit den ganzen Bayern-Offiziellen?

Flo: Es war tatsächlich eine nette Veranstaltung, trotz der Anwesenheit von Bayern-Oberhäuptern. Zu später Stunde war dann nur noch der harte Kern da und wir haben auf den Stühlen getanzt und Lieder gespielt.

Letztes Jahr wart ihr auf der Lesetour zu deinem Roman "You'll Never Walk Alone". Gibts da eigentlich keinen Mitschnitt, ist keine DVD geplant?

Flo: Stimmt, wir haben sogar einen gemacht, ich weiß gar nicht was daraus geworden ist. Wir haben Lesung und Konzert zumindest auf Video, ich weiß nicht wie der Sound ist. Vielleicht packen wir einen Auszug von der Lesung mal als B-Seite auf ne Single. Schreib ich mir direkt mal auf. Hast du einen Stift?

Hier. Wie lief die ganze Buchveröffentlichung für dich so ab?

Flo: Aufregend. Das Buch zu schreiben war eher ein schleichender Prozess. Ich hab im Tourbus angefangen ein bisschen zum Zeitvertreib auf dem Computer rumzuhacken, eine Kurzgeschichte entworfen und das hat soviel Spaß gemacht, dass ich daraus ein Buch gemacht hab. Ich bin kein Fan von einer Sammlung von Kurzgeschichten, sondern eher von durchgehenden Stories und habe weitergeschrieben und war irgendwann auf Seite 120 und dachte mir, jetzt muss ich es durchziehen. Ich habs dann meiner Schwester geschickt, die nur meinte "Burli, mach da weiter". Ich hab dann einen Verlag angeschrieben, KiWi, die haben mir gleich eine Absage erteilt. Dann wollt ichs eigentlich schon schmeißen, aber Rüde meinte nur "Spinnst du? Du musst da mal zehn Verlage anschreiben!" und dann hab ich das getan, davon sind fünf hängen geblieben und davon hab ich mich für Rowohlt entscheiden können.

Wie viel Autobiografisches steckt drin?

Flo: Es hat zumindest Züge meiner Vergangenheit drin. Geschichten vom Fußball habe ich so erlebt, auch die Geschichte mit dem Klaviervorspiel. Was überhaupt nicht stimmt, ist, dass mein Bruder Hooligan war. Ich habe allerdings im Studium ne Diplomarbeit über Hooliganismus gehabt, daher habe ich diese Ader mit einfließen lassen.

Was macht ihr jetzt noch nach der Tour? Pause?

Flo: Von November bis Januar machen wir eine Pause, da werde ich am Fuß operiert.Ich hab mir das Kreuzband gerissen, das wird zusammengeflickt und da kann ich natürlich nicht spielen. Dann spielen wir im März noch eine kleinere Tour in kleineren Hallen. Und im Sommer wollen wir Festivals spielen und ich hoffe, dass ich dann in Urlaub fahren kann. Einen großen Aufhänger für die Zukunft haben wir aber nicht.

Martin Korbach

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