Interview

Kettcar


Karlsruhe. Neben dem Festzelt am Tollhaus steht ein großer Nightliner. Daneben ein kleiner VW-Bus, der so aussieht als würde der nächste TÜV sein Todesurteil fällen. Aus diesem laden gerade unsere Freunde von Astra Kid ihr Equipment und schauen dabei ein wenig eifersüchtig zu dem Luxusbus hoch. Aus diesem steigt nun Marcus Wiebusch, Sänger von Kettcar und einer der drei Labelchefs des Grand Hotel van Cleef. Das ist jetzt aber gar nicht mehr so Indie. Nein, er gehört nicht ihnen, lacht Marcus. Eine Leihgabe des Veranstalters. Kettcar müssen direkt nach dem Konzert nach Hamburg fahren und da ausgeschlafen ankommen. Denn um 10:00 Uhr werden sie im Studio erwartet um zwei Jahren nach dem Debüt "Du und wieviel von deinen Freunden" den Nachfolger einzuspielen. Ein Interview zwei Jahre danach und 15 Stunden zuvor.

Werdet ihr wieder mit Swen Meyer ins Studio gehen?

Marcus: Ja. Das Dream-Team schlägt wieder zu (grinst)

Hat sich sonst etwas verändert? Von den Themen in den es in den Songs geht oder von der Musik her?

Marcus: Ja, es hat sich schon viel verändert. Die Themen sind glaub ich einen Tick anders geworden. Wir berichten nicht mehr so sehr davon wie es bei uns steht, sondern dieses Autobiographische fällt komplett weg. Ähnlich wie bei "Balkon gegenüber" werden jetzt verschiedene Personen durchgespielt. Den hatte ich ja auch nicht erlebt, sondern komplett ausgedacht. So Geschichten hab ich mir nun ausgedacht. Soweit zum Inhaltlichen.Zur Herangehensweise gab es auch diese eine Änderung, dass wir zum ersten Mal alle zusammen an Songs arbeiten. Das war früher anders, da kam einer und der hat mehr oder weniger seine Vision des Songs im Proberaum durchgesetzt oder ergänzen lassen. Im Großen und Ganzen war immer 85 Prozent von dem, der den Song angegangen ist. Und das waren meistens immer Reimer oder ich. Jetzt haben wir eine Vorproduktion gemacht, uns ein Haus im Grünen gemietet, wo im Keller ein Studio war. Und da haben wir elf, zwölf Songs komplett zusammen erarbeitet. Das haben wir vor sechs Wochen in acht Tagen gemacht und das war sehr produktiv.

Sind die neuen Texte eher pessimistisch oder optimistisch?

Marcus: Ich kann sagen, dass ich mein Tal durchschritten habe und das ich jetzt ein viel glücklicherer Mensch bin als ich die letzte Platte geschrieben habe. Die Platte wird also hier und da optimistischer sein. Außerdem lässt die viel mehr kranken Humor zu. Ein paar Leute werden sicherlich denken: "Mein Gott, was ziehen die denn jetzt ab?" Wir machen sehr viel kranke Sachen und lassen die dann auch so stehen. Weil diese eindimensionale Sichtweise auf diese Band, diese traurigen, persönlichen Texte, die wir gemacht haben, die hat uns doch ziemlich genervt, weil so sind wir nicht und so wollen wir auch nicht mehr wahrgenommen werden. Aber es gibt immer noch diese tiefe Melancholie in unseren Texten, weil ich werde nie dieser Happy-Go-Lucky-Typ sein. In meiner Persönlichkeit ist das einfach verankert, dass ich traurige Sachen thematisieren möchte.

Willst du jetzt auch etwas Abstand gewinnen? Ist dir das nun zu intim oder zu nah, vor so einer großen Masse, die Kettcar inzwischen anspricht über persönliche Gefühle zu singen?

Marcus: Ja, das Problem ist, dass ich damals Musik autobiografisch gemacht habe. Da zähl ich jetzt so Songs wie "Landungsbrücken raus" dazu, wo meine Seele dann wirklich im Freien schwingt. Wo ich für viele mein Innerstes nach Außen kehre. Die Zeiten sind deswegen hier und jetzt für mich vorbei, weil ich einfach scheisse glücklich bin. Aber ich will nicht darüber singen, wie glücklich ich bin, weil das scheisse langweilig ist. Warum ich das bei "Landungsbrücken" gemacht habe, dieses von Innen nach Außen tragen, mit all der Trauer, aber auch Hoffnung, ist dass ich das für mich brauchte. Interessanterweise haben das jetzt 25.000 Leute genauso gesehen. Das ist Glück.

Die Platte kam eigentlich jetzt genau vor zwei Jahren auf den Markt, im Herbst 2002. Damals hat das gar nicht so eingeschlagen, oft wurde die Platte in den Medien auch erst kurz vor dem Tomte-Release wahrgenommen.

Marcus: Auch unsere Zuschauerzahlen auf den Konzerten, das ist wie von Wunderhand gelenkt gerade. Als wir die offizielle Tour gespielt haben, haben wir auch schon vor 500 Leuten in Stuttgart oder so gespielt. Aber jetzt geht das halt echt ab. Die letzten Konzerte waren jenseits der 800. In Kiel vor 900 Leuten gespielt, gestern in Bielefeld: Im Vorfeld ausverkauft mit 700 Leuten. Ich kann mir das nicht mehr erklären. So groß in den Medien finden wir ja nicht mehr statt, es kann nur die Mundpropaganda der Leute sein. Das find ich sehr gut, weil das ist, wie Musik in ihrer pursten Form funktionieren sollte, fern von Medien nur über die Leute.

Das ist jetzt auch sicherlich durch die Indie-Welle die jetzt angespült kam. Es gibt ja jetzt zum einen die großen Bands wie Helden oder Sportfreunde. Dann die Indie-Bands wie euch oder Tomte. Aber dann gibt es ganz viele Bands bei denen man denkt: "Ohne diese Welle hätten die doch niemals einen Plattenvertrag bekommen." Jeden Monat gibt es ja zahlreiche Release von deutschsprachigen Bands. Seht ihr das als Problem, weil vielleicht wenn eure Platte rauskommt alle schreien: "Oh Gott. Nicht schon wieder was Deutschsprachiges!"?

Marcus: Ich seh das schon problematisch. Ich würd jetzt nicht so weit gehen wie Thees, der sagt, wir haben diese -Bewegung kann man es nicht nennen, sagen wir mal: Welle mitkreiert. Sicher haben wir unseren kleinen Teil mit dem Grand Hotel dazu beigetragen. Wir sagen auch den Medien: Wir bringen unseren Scheiss alleine raus, ziehen das jetzt durch und ihr könnt das machen oder nicht. Auch Wir sind Helden, die ohne Management alles selber erarbeitet haben. Ich glaube, auch das tolerieren tausende von jungen Leuten da draußen. Ich kenne Wir sind Helden auch ein bißchen und weiß: Die verbiegen sich für nichts. Die machen nichts, was ich nicht auch unterschreiben könnte. Was bitter ist, dass man deutschsprachige Musik in sechs Monaten -pünktlich wenn unser Album rauskommt- ein bißchen über haben könnte, weil es einfach zu viel ist. Aber wir hoffen, dass wir das schamlos überstehen.Aber gerade für unser Label, wir wollen dann eine neue Olli Schulz, das Debüt von Max Schröder rausbringen. Das sind alles deutschsprachige Acts und das wird dann schwer die in den Medien zu platzieren. Das ist ja ein Verdrängungswettbewerb. Wenn eine Juli- oder Silbermond-Platte kommt, hat ein Olli Schulz keine Chance. Und das ist Scheisse! Und deswegen bin ich kritisch gegenüber der Signing-Politik der Major. Aber das ist halt der Markt, das schnelle Geld und da freuen die sich.

Wieviele Demos kommen derzeit pro Woche bei euch an?

Marcus: Vielleicht so zehn?

Nur so wenig?

Marcus: Wir haben ja noch nie nach einer Demo eine Band gesignt. Aber ich finde auch zehn schon zuviel.

Wollt ihr denn überhaupt noch Bands aufnehmen und das Label ausbauen oder wollt ihr die Familienatmosphäre bewahren?

Marcus: Ja, man muss sagen wir wollen klein bleiben. Wir sagen nicht kategorisch nein, weil ich möchte die Chance wahrnehmen, eine Band, wenn sie mich wirklich umbläst mit einem Demo und ich spüre, dass da einer brennt, zu unterstützen. Thees, Reimer und ich hören uns alles an, aber das ist alles Schrott. 90 Prozent der Demos sind echt nicht gut, das ist einfach zu früh, uns was zu schicken. Ich finde sowieso, eine Band sollte erstmal die erste Platte selber rausbringen. Und auch die erste Tournee alleine organisieren und durch das ganze Blutband und so. Ich weiß das auch deshalb, weil ich das mit Kettcar und meiner damaligen Punkband But Alive selber mitgemacht habe. In einer Musikbranche, wo jeder nach oben will, gibt dir keiner den silbernen Löffel ins Maul. Und wenn er es dir gibt, so wie bei Silbermond, dann werden die auch gepflegt verheizt. Wie diese Bands verheizt werden, das halten die keine zwei Jahre durch. Und dann lösen sie sich auf. In jeder Generation gibt es fünf, sechs Leute und denen möchte ich sagen: Bringt eure Platte selber raus und wenn ihr richtig geil seid, könnte es sein, das ihr irgendwann beim Grand Hotel unterkommt. Wir wollen uns nicht bewusst verschließen, aber im Moment sehen wir uns als Freundeskreis an erster Stelle.

Geht der Blick vom Grand Hotel denn auch ins Ausland? Maritime war euer erstes europaweites Signing. Wie lief das in England?

Marcus: Geht so. Ist schon schwierig europaweit mit unseren bescheidenen Mitteln da aufzutrumpfen. Das ist auch eine Sache da würden wir gerne mehr Gas geben. Wir versuchen gerade ein bißchen größere Strukturen aufzubauen. Wir haben auch einen Promotion-Koordinator eingestellt. Am Anfang waren wir zu dritt, nun sind wir zu sechst.

Wie sieht es aus im Büro van Cleef? Gibt es richtigen Büroalltag, wo ihr um 08:00 Uhr euch an den Schreibtisch setzt?

Marcus: Wenn du einen Release hast, dann brennt die Luft. Dann müssen drei oder jetzt sechs Leute mit Hochdruck an einer Sache arbeiten. Jetzt haben wir lange keinen Release mehr gehabt und dann müssen wir uns so konzeptionelle Sachen überlegen. Ich hab jetzt in den letzten Wochen das Team aufgebaut. Ich kann meine Kettcar-Platte nicht selber zu Visions schicken und dann dort anrufen und fragen was mit dem Interview ist. Ich bin aber auch nicht jeden Tag im Büro, das ist ganz angenehm.

Wenn ihr in den Proberaum geht, ist das immer noch der legendäre den ihr euch mit Tomte und der Band von Robert Stadlober teilt?

Marcus: Den gibt es immer noch!

Wird der Hansen Film in's Kino kommen?

Marcus: Der läuft im Kino. Der wird auf der Berlinale 2005 vorgestellt und dann wird er im April in die Kinos kommen. Aber mehr so in Studentenkinos, also das ist kein Cinemax-Film.

Thees hat uns noch von einem geplanten Grand Hotel Festival erzählt.

Marcus: Thees! Der alte Schlacker!

Was ist damit?

Marcus: Ich bin ein großer Fan dieser Idee. Und wir haben das auch mal durchgespielt. Aber wenn wir das nächstes Jahr im Sommer machen wollen, müsste man spätestens jetzt im November richtig hart dran arbeiten und da bin ich im Studio. Also ich mach da schonmal gaaar nix. Und Reimer auch nicht. Aber wir haben das schon besprochen, auch mit Booking-Agenturen. Ich finde es einen faszinierenden Gedanken: Ein cooles Indie-Rock-Festival unter dem Grand Hotel van Cleef Banner, wo natürlich nicht nur Grand Hotel Bands spielen. Und das dann etablieren wie das Immergut-Festival. Das finden wir gut. Dieser Gigantonomie der großen Festivals mal was Gepflegtes entgegensetzen. Ich seh da aber im Moment noch schwarz. Aber es wird wahrscheinlich im Spätsommer in Hamburg im Stadtpark ein großes Grand Hotel Konzert mit der ganzen Bande geben.

Seid ihr in Hamburg wirklich Local Heros oder denken das nur außerhalb alle, weil man euch mit Hamburg verbindet?

Marcus: Wir haben gerade überlegt, aufgrund unserer Erfahrung in Bremen und Kiel, das wir in Hamburg die Große Freiheit buchen müssen. Nicht weil wir wollen, sondern weil wir müssen. Was soll ich sagen, aber es sieht danach aus dass tausend Leute kommen. Wenn auch noch zuvor die neue Platte mit dem ganzen Medienquatsch kommt. Aber warum nicht? Dann kommen halt tausend Leute.

Was hörst du so im Moment? Hat dich irgendwas inspiriert?

Marcus: Es klingt jetzt etwas doof, aber die Maritime fand ich sehr inspirierend. Dann höre ich viele ältere Elliott Smith Sachen wieder.

Hast du die neue Platte deiner Ex-Kollegen von Rantanplan gehört?

Marcus: Einmal durch und gefällt mir überhaupt nicht mehr.

Carsten Roth

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