Interview
Enter Shikari
Die Sonne scheint, aber es weht auch ein heftiger Wind auf der Dachterrasse des Skater's Palace in Münster. Nicht das perfekte Wetter, um in Achselshirt und Flip Flops draußen zu sitzen, merkt dann auch Rou Reynolds und wirft sich noch einen Parka über. So sitzt er, der Sänger von Enter Shikari, uns nun gegenüber und beantwortet gemeinsam mit seinem Bandkollegen Rory Clewlow freundlich alle Fragen. Von der letzten interviewten Band, Einar Stray Orchestra gibt es zwei Fragen. Zum einen wollten die wissen, ob die Band schon die norwegische Serie "Skam" gesehen habe. Die ist unter anderem darum besonders, weil die Charaktere der Serie ihre eigenen Social-Media-Auftritte haben und Realität und Fiktion auch innerhalb der Serie immer wieder durchmischt werden. Auch wenn Rou nicht viel mit Serien anfangen kann, so ist doch die Social-Media-Nutzung für die Band mindestens genauso wichtig wie für die Macher der Serie "Skam". Die Band gibt viel von ihrem privaten Leben über das Internet preis. Haben sie dadurch schon irgendwelche Probleme gehabt? "Ich finde es etwas schwierig, dass Menschen meiner Freundin im Internet folgen. Sie taggen zum Beispiel auch Fotos von ihr mit meinem Namen und so. Ich finde das merkwürdig, aber sie kann noch darüber lachen", erzählt Rory. Aber generell können sich Enter Shikari die Welt nicht mehr ohne Social Media und Internet vorstellen. "Es ist toll, über Social Media mit den Fans verbunden zu sein. Wir wollen keine Rockstars sein, die von oben herab schauen, wir wollen auf einer Ebene sein", meint Rou. Auch ohne Internet haben Enter Shikari eine starke Verbindung zu den Fans. So sind auch an diesem Tag während des Soundchecks eine Horde Menschen schon in der Location. Für die Band ist es selbstverständlich, die Leute, die schon den ganzen Tag in der Schlange stehen, dafür zu entschädigen und ihnen quasi einen Vorab-Gig zu spielen.
Die zweite Frage von Einar Stray Orchestra lautet: "Wie können wir die Welt retten?". Rou und Rory lachen erstmal verlegen. "Die Frage kann man nicht beantworten! Die Welt ist abgefuckt. Da werde ich zum Nihilisten. Tja, vielleicht gibt es doch ein paar Kleinigkeiten, die man tun kann. Obst essen, nett zueinander sein, lächeln, Tiere streicheln, meditieren", schlägt Rou vor. "Außerdem sollten die Menschen gleicher behandelt werden. Durch eine gute staatliche Daseinsvorsorge, ein gutes Gesundheitssystem, eine solide Basis für alle, egal, aus welchem Hintergrund die Menschen kommen." Vor ein paar Jahren hat Rou schon recht resigniert gesagt, dass Musik das einzige sei, dem man noch vertrauen könnte. Würde er das heute auch noch so sagen? "Naja, es gibt so viel schlechte Musik, aber es kann auch solche geben, der man vertrauen kann. Oftmals ist die Musik von Bands wie uns, die independent sind, die letzte Bastion der Wahrheit. Wir können schreiben, worüber wir wollen, müssen keinen Firmen etwas beweisen. Das ist vielleicht der Unterschied zu Medien, die potentiell abhängiger sind." Unabhängig sind sie auch in ihrer Gestaltung der Shows. "Wir kommen vom Punk-Background und lieben es, kleine, schwitzige Shows zu geben. Aber wir lieben es auch, große Lightshows aufzufahren, mit Lasern und Lichtern." Bei Enter Shikari sind eben unterschiedlichste Zugänge möglich. Genau darum wehren sie sich auch gegen Genre-Beschreibungen, vor allem, weil sie diese ohnehin immer wieder durchbrechen. Rou hatte mal in einem Interview gesagt, dass, sich auf einen Musikstil festlegen zu müssen, ungefähr so schlimm wäre, wie nur ein Essen essen zu dürfen. Wenn Enter Shikari nun ihren aktuellen Musikstil als Essen beschreiben müssten, welches wäre das? Rou und Rory überlegen gemeinsam und sagen dann ziemlich entschlossen: "Peanut Butter Jelly Toast! Im ersten Moment denkt man vielleicht nicht, dass das gut zusammenpasst, aber es ergänzt sich perfekt. Außerdem kann man dazu ‚Peanut Butter Jelly Time‘ singen", meint Rou und alle müssen lachen.
Zehn Jahre ist es her, dass Enter Shikari ihr Debüt "Take To The Skies" veröffentlicht haben. Auf der Jubiläumstour, auf der sie gerade unterwegs sind, werden sie die alten Stücke wieder, beziehungsweise zum Teil auch zum ersten Mal live spielen. "Wir wollten auf keinen Fall einfach nur die Stücke des Albums hintereinander runter spielen. Wir haben sie hier und da angepasst und verändert. Vor allem haben wir versucht, die Synthesizer besser klingen zu lassen. Aber die Nostalgie sollte bleiben, auch wenn der Sound nun mächtiger klingt. Eine wichtige Sache, die sich verändert hat, ist außerdem unsere Tonhöhe. Beim ersten Album haben wir alles eine Tonhöhe höher gesungen. Nach dem ersten Album haben Rou und Chris entschieden, dass die Songs zu hoch für sie zu singen sind. Wir gehen jetzt alle paar Jahre ein paar Tonlagen runter", schlägt Rory vor und Rou lacht zustimmend. In ihren Anfängen, wie auch heute, nutzen Enter Shikari viele Fieldrecordings für ihre Aufnahmen, gerne auch mal aus leerstehenden Ruinen mitten im Wald. Was wäre der perfekte Ort, den sich die Band für Fieldrecordings vorstellen könnte? "Es muss nicht unbedingt ein großartiges Gebäude sein. Manchmal findest du den Sound, den du suchst, sprichwörtlich auf der Straße liegen. Es gibt überall tolle Sounds. Einer der ersten Töne, den man auf "Slipshod" hört, der sich anhört wie ein verrückter Synthiesound, ist eigentlich ein Drahtzaun. Wir waren auf dem Land unterwegs und dort haben wir an diesem Zaun gezupft und diese Schwingung aufgenommen", erzählt Rory.
Rory und Rou tun sich schwer, selbst eine Frage fürs Interviewbuch aufzuschreiben – und im Endeffekt überlegen sie sich sogar zwei. "Wenn du eine Farbe verbannen müsstest, welche wäre das?" Welche Farbe würden sie selbst verbannen? "Ich mag marineblau überhaupt nicht", erzählt Rou, "die müsste also verschwinden." Die zweite Frage ist etwas kniffeliger zu beantworten: "Wenn du eines dieser Objekte in dein Publikum werfen müsstest, welches wäre es? A: Ein Ferkel B: Ein großer Stein C: Das beste Porzellan deiner Großmutter D: Die Einnahmen aus der gespielten Show?" – "Das ist schwierig zu beantworten. Ich weiß nur, dass, wenn ich das Porzellan meiner Großmutter rein werfen würde, meine Mutter mich enterben würde!", erzählt Rou grinsend. "Also müsste es eins der anderen sein." Rory entscheidet schließlich für die Band: "Ein kleines Ferkel, aber ganz vorsichtig. Ja! Ein Stagedive mit einem Ferkel, das wäre doch etwas!". Dabei könnte dann mit dem Schweinequieken auch gleichzeitig ein guter Soundloop entstehen. Das klingt doch vielversprechend!
Lesen
Rezension zu "The Mindsweep" (2015)
Rezension zu "A Flash Flood Of Colour" (2012)
Rezension zu "Common Dreads" (2009)
Rezension zu "Take To The Skies" (2007)
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