Rezension

Radiohead

TKOL RMX 1234567


Highlights: Bloom (Objekt RMX, Mark Pritchard RMX, Blawan RMX) // Lotus Flower (Jacques Greene RMX) // Little By Little (Caribou RMX) // Feral (Lone RMX) // Codex (Illum Sphere RMX) // Separator (Anstam RMX)
Genre: Dubstep // Electro // Rave // Bass
Sounds Like: Modeselektor // Thom Yorke // Anstam // Kode9 // Nicolas Jaar // James Blake // Fever Ray // Portishead

VÖ: 07.10.2011

Nun erscheint sie offiziell, die Zusammenfassung der über den Sommer veröffentlichten sieben Remix-Vinyls zum im Frühjahr erschienen „The King Of Limbs“. Je nachdem, aus welcher Perspektive man sich diesem zweiten Radiohead-Album des Jahres 2011 nähert, ergeben sich unterschiedliche Einschätzungen der Doppel-CD namens „TKOL RMX 1234567“. Man kann es elektronisch, club-musikalisch betrachten, oder aber im allerweitesten Sinne alternativ rockend. Aus elektronischer Sicht ist es einfach eine weitere Sammlung von Remixen, auf der sich die üblichen Verdächtigen die Klinke in die Hand reichen und in ihrer persönlichen Handschrift vorgegebenes Material taggen. Aus der Gitarrenschublade heraus – in der Radiohead immer noch am einfachsten einzuordnen sind – ist es eine kontinuierliche Entdeckungsreise durch eben die elektronische Musik, wobei der Ursprung der Stücke in und ihre Verknüpfung zu den Klängen auf „The King Of Limbs“ den Reiz erhöhen. Am deutlichsten wird der Bezug zum Ausgangsmaterial natürlich durch Thom Yorkes Stimme, aber auch das Aufgreifen des Alles-Rhythmus-Seins des Originalmaterials verbindet „The King Of Limbs“ und „TKOL RMX“. Somit ist das erste offizielle Radiohead-Remix-Album auf der einen Seite eine typische Remix-Sammlung, aus der man sich Rosinen rauspicken und einzeln – oder auf der entsprechenden Vinyl-Single – kaufen kann, bietet aber eben auf der anderen Seite auch eine faszinierende Erkundung elektronischer Welten und Perspektiven.

So wie die Band Radiohead vor zehn Jahren quasi von „OK Computer“ zu „Kid A“ ge-Warp-ed wurde, verneigt sich die Band – und insbesondere Sänger Thom Yorke – hier vor den elektronischen Musikern, die sie seitdem und insbesondere in den letzten fünf Jahren beeindruckt haben. Von Warp hat sich der Fokus geweitet und verschoben auf die aktuelle Vielfalt von Bassmusik, Dubstep und Minimal. Diese Offenheit und Neugier führte auch zu diesem Remix-Projekt: Was würden die Künstler, welche die Band selbst hörte, aus ihrem Material machen? Wie würden sie die Stücke sprießen lassen und wie würden sich die Songs verändern? All dies waren die Intentionen, wie Thom Yorke sie formuliert. Desweiteren drückt er seine Bewunderung für das „Fließen der Ideen“ aus, das der Remix-Kultur innewohnt. Diese fehlende Festigkeit von Ideen sieht er als „gesund für die Musik“ an. Das reize die Band. Dem Projekt wohnt also zutiefst die reine Freude am Experiment und der Musik an sich inne. Die besten Tracks des Albums nun folgen dieser Vorstellung, lassen die Ideen sich frei entfalten, folgen einem „was wäre wenn“, das gelingt. Wo also Warp den Weg von „OK Computer“ zu „Kid A“ wies, führen die vielfältigen derzeitigen Spielarten von Minimalismus und experimenteller Rhythmik von „The King Of Limbs“ hin zu „TKOL RMX 1234567“.

Neunzehn Stücke verteilen sich hier auf zwei CDs. In dieser Fülle findet sich – naturgemäß – Schwächeres, aber die stärkeren Stücke bestimmen den Eindruck und Spektakuläres hebt die Qualität in der Summe weit über einfach gut hinaus. Dazu kommt, dass sich in den einzelnen Stücken immer Neues finden lässt und manch ein scheinbar weniger gutes Stück sich mit der Zeit steigert. Da – dank Internetpräsenz der Band – jeder im Laufe des Sommers die Tracks häppchenweise vorhören konnte, ließen sich die Stärken (und Schwächen) der einzelnen Stücke bereits im Vorhinein feststellen. So blieben nur die Frage, ob die Gesamtheit auch als Album funktioniere, und die Befürchtung, dass mit Maxis und Doppel-CD in gewisser Weise abkassiert werden sollte. Die ursprüngliche Idee, vier Maxis – und damit eine CD – zu veröffentlichen, hätte unter Umständen dem Zusammenhalt der Einheit des Projekts geholfen, allerdings finden sich nicht genug schwache Stücke, um eine sinnvolle Auswahl zu treffen. In der Fülle der neunzehn Stücke ist das Album natürlich nicht zum konzentrierten Durchhören geschaffen, und dennoch ist dies möglich, ohne übermäßig zu ermüden. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich hier viele Tracks finden, die mit zum Besten gehören, was dieses Jahr in ihren Genres auf den Markt kam und sogar das originale Material der Künstler zum Teil übertreffen – dies gilt in Maßen für Mark Pritchard, aber insbesondere für SBTRKT, Jamie XX und Anstam. Blawan wiederum bestätigt mit seinem Remix die Qualität seiner aktuellen Maxi „What You Do With What You Have / Vibe Decorium“ und die Zwiespältigkeit von Modeselektors Beitrag zu „TKOL RMX“ spiegelt die gleiche Eigenschaft ihres Albums „Monkeytown“ wieder.

Wie angemerkt, bleiben im Verlauf von 19 Stücken Durchhänger nicht aus. Der größte ist sicherlich Pearson Sounds Blick auf „Morning Mr Magpie“, und Modeselektors „Good Evening Mrs Magpie“ ist zwar funktional und reißt durchaus mit, erscheint aber manchmal doch arg uninspiriert und einem Rezept folgend – in dem Thom Yorkes gesamplete Stimme eine große Rolle spielt und das ebenso auf ihrem Album auftritt. Auch Four Tets hallender und doch zugleich auch ungemein zärtlicher Mix von „Separator“ überzeugt nicht in letzter Konsequenz. Diese leichten Schwächen werden allerdings durch all die erstaunlichen Momente aufgewogen. Darunter ist Objekts „Bloom“ mit seinen aufblubbernden Bässen einer der beeindruckendsten. Überhaupt scheint der aufsteigende Charakter des „Bloom“-Originals besonders begeistert zu haben. Auch Jamie XX, Mark Pritchard (und sein alter ego Harmonic 313) sowie Blawan widmen sich der Albumeröffnung von „The King Of Limbs“. Jamie XX betont den geisterhaften Charakter des Stücks, Pritchard als Harmonic 313 lässt es futuristisch ausfasern, um es nachfolgend unter seinem eigenen Namen einzufangen und bedrohlich dunkel aufzublähen, und Blawans Version des Stücks stampft den Weltuntergang heraufbeschwörend voran. Nathan Fake sucht für seine Interpretation von „Good Morning Mr Magpie“ die Nähe zum Original, fängt dessen klassisch Radiohead’schen Charakter ein und schafft es gerade deshalb, das Stück in Maßen zu verbessern. Ähnlich ursprünglich und nur durch leichte Beats das Ausgangsmaterial variierend gelingen zum Einstieg Jacques Greenes „Lotus Flower“ und Caribous „Little By Little“. Ersteres wird im Abgang noch zum spektakulär melancholischen Clubhit und „Little“ hüpft hier einfach bezaubernd Caribou'esk durch den Gehörgang. Die Clubtauglichkeit von „Lotus Flower“, die ja bereits Yorkes Tanzvideo verdeutlichte, erkennt auch SBTRKT zum angeraveten Abschluss der Remix-Sammlung. „Little By Little“ wiederum wird außerdem von Shed variiert, der es in einen ambient-zähflüssigen Klanghonig verwandelt – was nicht negativ gemeint ist. Ähnlich sphärisch-verzerrt hypnotisierend erklingen Thrillers (aka Actress) Houseghost-Remix für „Give Up The Ghost“, Illum Spheres verzweifelte Variante von „Codex“ und Altrices Kombination von Elementen aller Stücke von „The King Of Limbs“. Dagegen finden sich in Lones Version von „Feral“ tribalistische Rhythmen. Originär dubsteppig (also sozusagen vollkommen 2011) gibt sich eigentlich nur Brokenchords „Give Up The Ghost“-Version, die damit vielleicht nicht zu den absoluten Höhepunkten des Albums gehört, die aber „The King Of Limbs“ am klarsten im Hier und Jetzt verankert und es mit den Platten von sowohl James Blake als auch Bon Iver kurzschließt. Die Krönung dieser Compilation, nein, dieses Albums – denn das ist es – stellt Anstams „Separator RMX“ dar. Im Beginn nah am Originalstück, versieht er den Mix mit pumpenden Bässen und klirrenden Ketten und schafft so poltergeisternd den faszinierendsten Track der Doppel-CD, der im besten Sinne an Portisheads „Third“ gemahnt.

Bei aller Größe der „TKOL RMX 1234567“ ist nicht alles Gold, und manches – weniges – ist fast ermüdend. Die Essenz des Albums aber weist über die reine elektronische oder clubbige Neuabmischung des Originalmaterials hinaus. Viele der vertretenen Künstler (eigentlich fast alle) präsentieren Stücke, wie man sie nach Thom Yorkes „Eraser“-Album und den von den Bandmitgliedern immer wieder präsentierten Office-Charts auch von der Band hätte erwarten können. Allerdings wäre dies im Sinne von John Lennons Aussage – es käme darauf an wie man stehle – wohl doch etwas zu offensichtlich und langweilig kopierend, denn kreativ stimuliert Neues schaffend. So bleibt am Ende eine Remix-Compilation, die den Fluss und die Intensität eines Albums besitzt. Sie fügt dem Schaffen von Radiohead nicht zwangsweise etwas Neues hinzu, aber verdeutlicht einmal mehr die Schwierigkeit, die Band stilistisch verorten zu wollen.

Oliver Bothe

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