Rezension

Radiohead

A Moon Shaped Pool


Highlights: Burn The Witch // Identikit // Ful Stop
Genre: Pop // Rock // Elektro // Avantgarde // Experimental
Sounds Like: Thom Yorke // Atoms For Peace // Moderat // Portishead // James Blake // Darkside

VÖ: 08.05.2016

Einmal mehr verzichten Radiohead auf den üblichen Weg einer Albumankündigung. Statt langem Vorlauf und großer Kampagne wird „A Moon Shaped Pool“ am Freitag, den 06.05.2016, angekündigt und ist ab dem Sonntag darauf zu hören. Angedeutet hatte es sich, dass die fünf Jahre Wartezeit nach „The King Of Limbs“ um sein könnte: Zuerst löschte man alle bisherigen digitalen Spuren, dann füllte man die entstandene Leere mit ersten Schnipseln und später den ganzen Songs „Burn The Witch“ und „Daydreaming“ auf. Elf neue Stücke sind es insgesamt, wobei „neu“ hier in Anführungszeichen zu setzen ist: Sieben davon geistern mitunter seit einigen Jahren durch diverse Liveauftritte oder tauchten als Namen in Fanforen auf. Am bekanntesten dürfte „True Love Waits“ sein, welches bereits seit 1995 immer wieder gespielt wird und zudem auf der „I Might Be Wrong“-Live-EP zu finden war.

Nicht nur diese Ansammlung wirft eine wesentliche Frage in den Raum: „War es das jetzt eigentlich mit Radiohead?“ Nicht nur die Ansammlung bekannter Titel, die einer Art Resteverwertung gleichkommt, spricht Bände, sondern auch das Vernichten sämtlicher alter Masterbänder früherer Alben, die in Schnipseln der Deluxe-Edition von „A Moon Shaped Pool“ beiliegen. Dazu das Löschen der Webseite. Man kann den Eindruck gewinnen, Radiohead machen tabula rasa und was beim Aufräumen noch so eben im Studio herumlag, heißt nun „A Moon Shaped Pool“, dessen Songs auch nur alphabetisch aneinandergereiht wurden. Bevor man das Album gehört hat, stellt sich schon die Frage, ob und wie es weitergeht. Da dies zur Zeit nicht beantwortet werden kann, werfen wir doch überhaupt erstmal einen Blick auf die elf neuen Stücke.

Da sich hier viel Bekanntes tummelt, ist es natürlich auch nicht unbedingt eine Weiterentwicklung, die Radiohead hier präsentieren. „A Moon Shaped Pool“ versammelt eher Stücke, die symbolisch für die einzelnen Phasen der Band sind. Es ist eine Art Best-Of, nur mit anderen Mitteln. Man findet sowohl den gitarrengetriebenen Rock wieder (etwa im tollen „Identikit“), späteres Elektrogefrickel aus Zeiten von „Kid A“ und „Amnesiac“ und ein wenig Bombast. Einzige Konstanten: Streicher. Streicher überall. Die zweite Konstante ist natürlich Thom Yorke, beziehungsweise dessen Stimme, die sich immer weiter gen Auflösung entwickelt und streckenweise überhaupt nicht mehr verständlich wirkt.

Es eröffnet „Burn The Witch“. Hektische Streicher, langgezogene Vocals – ein nervöser, lauter Zwilling des „Pyramid Song“. Selbst wenn es an dieser Stelle Resteverwertung sein sollte, so bringen dieses Niveau nicht viele Bands zustande. Es folgt „Daydreaming“, eine gesäuselte Ballade, die wunderschön einlullt (Parallelen hier zu „Exit Music“), gen Ende durch überlaute Schnarchgeräusche verwirrt. Im Video dazu ergibt das Sinn, ohne die Bilder dazu ist das Ende seltsam. Gerade „Daydreaming“ und die folgenden zwei „Decks Dark“ und „Desert Island Disk“ vermitteln hörbar das Gefühl der Auflösung, nichts bleibt mehr vom furiosen Start und insbesondere „Desert Island Disk“ ist eigentlich nur furchtbar langweilig. Völlig anders hingegen „Ful Stop“. Im sich stetig wiederholenden, schnellen Muster treibt ein Beat das Stück voran, als entspringe es dem letzten Portishead-Album. Setzte die Band eben noch auf das Gezupfe einer Akustikklampfe, ist es nun ein hochgradig komplexer Elektrosound, der den Kern ausmacht.

Kaum ist Lautstärkepegel und Spannungsbogen hochgefahren, setzt es auch schon wieder ein jähes Ende. „Glass Eyes“ ist eine verhaltene Ballade. Streicher, Klavier, ein zusammenfallender Yorke, mehr hat dieses Stück nicht und es schläfert wiederum ungemein ein. Da „A Moon Shaped Pool“ allerdings sehr zusammen gewürfelt ist, bietet es auch ein stetes Auf und Ab. „Identikit“ folgt. Verkleidet sich zunächst als reduziertes, analoges Stück, ehe der nur einmal aufkommende "Refrain" „Broken Hearts – Make It Rain“ samt Chorintonierung einen völlig unerwarteten Ausbruch bietet. Diesen hat auch „The Numbers“, allerdings sind es hier nicht Chöre, sondern süßlich beschwingte Streicher, die eine fast fröhliche Stimmung herbeizaubern. „Present Tense“ fährt das schon mehrfach bekannte Schema Akustikgitarre samt eines leidenden Yorke. Erneut kein Stück, welches sich einbrennt, für Spannung sorgt oder lange im Gedächtnis bleibt. Zum Abschluss also „True Love Waits“, dem leider durch das Ersetzen der Gitarre durch eine Klavierspur die Intensität verloren geht. Es plätschert sehr gefällig dem Ende entgegen und das, obwohl das Stück eigentlich als Highlight bekannt ist.

So richtig einschätzen lässt sich „A Moon Shaped Pool“ nicht. Es bietet alles, was Radiohead über mittlerweile Jahrzehnte ausmacht. Großartige Momente, tolle, berührende Stücke. Aber eben auch den Beigeschmack einer B-Seiten-Sammlung, von denen einige zurecht bislang in der Kiste schmorten. Bleibt zu hoffen, dass Radiohead doch irgendwie weiter machen und als Nummer zehn etwas präsentieren, was wieder durchweg Weltklasse ist.

Klaus Porst

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"Burn The Witch"

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