Rezension

Ought

More Than Any Other Day


Highlights: Today More Than Any Other Day // Habit // The Weather Song // Around Again
Genre: Art-Punk
Sounds Like: At The Drive-In // Modest Mouse // The Velvet Underground // Sonic Youth // Battles // Godspeed You! Black Emperor

VÖ: 25.04.2014

2011 gab es in der kanadischen Provinz Quebec heftige Studentenaufstände gegen hohe Studiengebühren. Epizentrum der Proteste war Montreal, und aus den Protesten heraus formte sich eine Band. Sie nannte sich Ought und ließ sich im kreativen Viertel Mile End in einem kleinen Appartement, das fortan als Proberaum diente, nieder. Nun, knapp drei Jahre später, veröffentlicht sie ihr Debütalbum „More Than Any Other Day“. Was erst einmal nur bloße Fakten sind, lässt natürlich ein wenig durchblicken, was Ought für eine Band sind. Nämlich eine wütende, eine aufgewühlte, die aber zugleich künstlerisch sehr hochwertig ist. Ought machen, wenn man das Ganze labeln will, Art-Punk.

Dabei klingt ihr abwechslungsreicher, explosiver Sound mal nach At The Drive-In, mal nach The Velvet Underground („The Weather Song“), mal nach Battles („Pleasant Heart“) oder einfach nach allem zugleich. „More Than Any Other Day“ ist geprägt von seiner Direktheit: Die Platte ist sehr roh und entfaltet so einen Spirit der Rastlosigkeit, der den Hörer mitreißt. Das wiederum erinnert an die frühen Modest Mouse. Mal ist das Album völlig wütend-schrammelig, mal verfällt es in einen Drone, der fast schon nach Godspeed You! Black Emperor klingt („Forgiveness“). Tim Beelers Gesang erinnert dabei an den frühen durchtriebenen David Byrne.

„More Than Any Other Day“ ist in seiner Vereinigung an Stilen und seinem Abwechslungsreichtum grenzsprengend und dürfte nicht zuletzt deshalb bei Constellation Records (Godspeed You! Black Emperor, Do Make Say Think, Matana Roberts, Colin Stetson...) Aufmerksamkeit erregt haben. Vor allem, weil Ought dennoch nach etwas ganz eigenem klingen. Nach zwei Bandcamp-EPs lud das Label die Band in sein legendäres Studio Hotel2Tango ein, in dem in einer Woche die Platte entstand. Das Besondere an „More Than Any Other Day“ ist, dass die Platte niemals kalkuliert wirkt, dies ist ungefiltert all die nervöse Energie, die Ought in sich tragen. Und genau so hört die Platte sich auch an – nach vier Herren, die in DIY-Spirit alles raushauen. Alles – das ist Disziplin, Chaos, Tragik, Leidenschaft, Wut, Unzufriedenheit und vieles mehr.

Auch textlich ist die Platte eine Offenbarung, eine Art moralischer Aufschrei. Ought spielen mit kleinen und großen gesellschaftlichen Problemen, oft in kryptischer Sprache. So etwa im Titeltrack „More Than Any Other Day“, wo es die alltäglichen kapitalistischen Konsumgewohnheiten auf die Schippe nimmt, wenn es heißt: „Today more than any other day // I am prepared // To make the decision // between 2 per cent and whole milk“. Im Kleinen schnippisch zeigen Ought genau, wo heute Protest anfängt – nicht zuletzt bei Konsumentscheidungen, bei Gewohnheiten. Genauso zeigen sie natürlich auch, wo Probleme anfangen können – nämlich bei jeder kleinen Entscheidung. Hier knüpft das folgende „Habit“ an. Der Song pendelt zwischen Wut und Ballade und steht exemplarisch für den puren Abwechslungsreichtum der Band. Hinter all diesen verschiedenen Klängen steckt immer der Spirit der Platte, der die acht Songs im Innersten zusammenhält. Acht Songs, die in ihrer schrägen Eindringlichkeit keinen Moment langweilig kommen und gemeinsam eine Platte ergeben, die wichtig ist. Heute, mehr als jeden anderen Tag.

Daniel Waldhuber

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