Rezension

Nils Frahm

All Encores


Highlights: The Roughest Trade // The Dane // Spells
Genre: Neoklassik // Ambient // Elektronik
Sounds Like: Hania Rani // Ólafur Arnald // Max Richter // Jon Hassel

VÖ: 18.10.2019

Nils Frahm eröffnet auf „All Encores“ mit neun Sekunden Stille einen Raum, um zur Ruhe zu kommen, durchzuatmen und sich im Anschluss ganz der Musik zuzuwenden. Dieses bewusst eingesetzte Moment kennt man von „All Melody“ und ist doch mehr Raum zum (Nach-)Wirken als wirkliche Stille. Die ganze Aufmerksamkeit widmet sich zu Beginn den Tönen des Klaviers, dem Hall und Schleifen, wenn Frahms die Tasten anschlägt. All das formt sich zu Klangkunst, die ein Konglomerat aus allen Tönen und Geräuschen eines Instruments ist. Während „The Roughest Trade“ aus Klavier pur besteht, ist bei „Ringing“ zu Beginn eine Trompete zu hören – aber auch hier gehört das Einsaugen von Luft durch die Trompete zum Klang, bevor sich Klavier und später Harmonium dazugesellen und lange Melodiebögen aufspannen. Musik, die die unterschiedlichen Synapsen anspricht und neu verbindet. Spätestens bei „The Dane“ berührt einen die Musik ganz tief drinnen, es schmiegen sich Harmonium und Klavier ineinander, lösen sich, verschwimmen, tanzen zusammen – und entlassen einen mit dem Gefühl der Wärme und Vertrautheit des frühen Nils Frahm. Mit elfeinhalb Minuten Harmonium schließt „Encore 1“.

Eigentlich schon vor seinem Album „All Melody“ entstanden die Ideen für die drei Zugaben („Encores“). Peu à peu wurde seit 2018 „Encore 1“, „Encore 2“ und „Encore 3“ veröffentlicht, die nun gebündelt auf „All Encores“ zu hören sind. Somit ist es nicht wirklich ein Album neuer Stücke, sondern vielmehr ein Beiwerk zu „All Melody“. Nils Frahm sagt dazu: „Ich denke, die Idee von „All Encores“ ist gewissermaßen mit klanglichen Inseln zu vergleichen, die „All Melody“ einrahmen.“ Die jeweiligen „Encores“ sind dabei als Konzeptalben gedacht und aufgebaut. Während „Encores 1“ das Soloklavier und Harmonium in den Mittelpunkt stellt, setzt Frahm bei „Encores 2“ mehr auf Ambient-Texturen und führt in „Encores 3“ den Fokus weiter auf die rhythmischen und elektronischen Aspekte seiner Musik. Auch wenn „All Encores“ mehr ist als ein Lektüreschlüssel für seinen Vorgänger, ist dies vielleicht das Manko dieses Albums. Die Energie baut sich zwar systematisch auf, allerdings fehlt dadurch in Teilen die Abwechslung und Verwobenheit als Ganzes.

Der zweite Teil („Encore 2“) beginnt mit „Sweet Little Lie“ und greift die Ruhe des ersten Teils auf, doch die Akustik verändert sich. Es sind nicht mehr die klaren und sauberen Aufnahmen aus Frahms Funkhaus-Studio, sondern der Hall eines alten mallorquinischen Steinbrunnens, bei dem auch Umgebungsgeräusche Teil der Stücke werden. Auf sanfte Weise greift dieser Track genau diese Umgebung auf und klingt wie ein moderner Debussy, der durch die Musik den ausgetrockneten Brunnen wieder mit Wasser füllt. Dabei bekommen auch verzerrte und verstärkte Töne immer mehr Ausdruck. Hier bewegt sich Frahm irgendwo zwischen elektronischem und akustischem Klang, seinem aktuellen musikalischen Zuhause. Und wieder endet die Etappe der Zugaben mit über zwölf Minuten („Spells“). Indes stehen elektronische Synthesizer deutlich mehr im Vordergrund, Chorgesang mischt sich unter, der Klang schwillt an, entlädt sich und baut sich von Neuem auf. Es gibt Ausblick darauf, was mit „Encore 3“ folgt. Dann 30 Sekunden Stille und alles vibriert.

Schließlich heißt es nach rund 80 Minuten noch zwei mal zwölf Minuten („All Armed“, „Amirador“), zwei Mal hypnotisierender, melodiöser Elektro. Der Ausblick auf einen zukünfitgen (und doch bekannten) Nils Frahm? Schlussendlich klingt „Amirador“ langsam aus, so wie Nils Frahm eröffnet hat. Stille. Nach drei Minuten ein Klicken. Ende – und doch irgendwie auch nicht.

Lina Niebling

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