Rezension

Motorpsycho

The All Is One


Highlights: N.O.X. II: Ouroboros (Strange Loop) // Dreams Of Fancy
Genre: Progrock // Psychedelic // Jazz
Sounds Like: Dungen // Jaga Jazzist // Black Mountain

VÖ: 28.08.2020

Okay, was will man nach 30 Jahren Bandgeschichte und über 20 Alben noch zu Motorpsycho schreiben? Vielleicht fangen wir mal mit den harten Fakten zum neuen Album an: „The All Is One“ ist nach „The Tower“ und „The Crucible“ der abschließende Teil einer inoffiziellen Trilogie namens „Gullvåg“. Die neue Platte bringt es auf satte 84 Minuten Spielzeit und zentraler Bestandteil ist das 45(!)-minütige, aus fünf Stücken bestehende Monumentalstück „N.O.X.“. Alle Songs wurden letztes Jahr zwischen September und November aufgenommen, was angesichts der schieren Länge und Komplexität schwer zu fassen ist.

Klingt insgesamt nach einem schweren Brocken und ist auch einer – wenig verwunderlich. Und genau darin liegt so ein wenig die Krux des jüngsten Motorpsycho-Outputs. Man rechnet mit ausuferndem und vertracktem Material und bekommt dann genau das. Für den Fan mag das befriedigend sein, allerdings bleibt so auch der Überraschungseffekt aus. Das klingt angesichts eines episches Jams wie eben „N.O.X.“ unglaublich paradox. Schließlich geschieht hier quasi im Minutentakt etwas Unvorhergesehenes. Aber genau das ist der springende Punkt: Das Unerwartete ist erwartbar geworden. In der Hinsicht haben sich Motorpsycho so ein wenig selbst ausmanövriert. Es ist etwas unfair, die Norweger so zu kritisieren, schließlich ist die Band nach all den Jahren immer noch kreativer unterwegs als 99% der restlichen Musikszene und darüber hinaus mit einem Arbeitsethos ausgestattet, der seinesgleichen sucht. Deshalb verdient „The All Is One“ natürlich auch noch eine nüchterne Albumbesprechung.

„N.O.X.“ ist also wie gesagt das Zentralgestirn der Platte und Motorpsycho fahren hier wirklich alles auf, was ihr umfangreiches Repertoire hergibt: Freejazz-Passagen, epische Soundflächen, Streicher, Synthesizer in vollster Ekstase, ja sogar Chöre schalten sich in diesen (kontrollierten?) Wahnsinn ein. Es ist vielleicht das Stück der bisherigen Diskographie, welches einer Liveerfahrung von Motorpsycho am nähesten kommt. Gerahmt wird der Songmonolith von den restlichen Tracks der Platte.

Der Titeltrack macht dabei den Anfang und ist zugleich auch fast die Blaupause eines typischen Songs des Trios aus Trondheim – eine einprägsame Grundmelodie, die mit allerhand Bridges und Soli ausstaffiert wird. Etwas reduzierter sind dann „The Same Old Rock (One Must Imagine Sisyphus)“ und „The Magpie“ im Anschluss. Zwei fast schon straighte Rocksongs. Aber die können Motorpsycho ja auch schreiben. Wenn sie wollen. Mit der sanften Akustik-Ballade „Delusion (The Reign Of Humbug)“ geht es dann über in das Schwergewicht mit den drei Buchstaben.

Wer danach noch Luft hat, kann sich mit „Dreams Of Fancy“ auf den stärksten Song des Albums freuen. Hans Magnus Ryan packt hier noch einmal ein unnachahmliches Riff aus, das wunderbar von Streichern untermalt wird. Ähnlich gut gelingt das auch beim Schlusstrack „Like Chrome“, der „The All Is One“ würdig zu einem Ende führt. Aber was heißt bei Motorpsycho schon Ende? Vermutlich sitzt die Band in diesem Moment schon wieder im Studio und bereitet mindestens die nächsten drei Platten vor. Vielleicht gelingt es ihr dann ja wieder, etwas mehr zu überraschen.

Benjamin Köhler

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