Rezension

King Gizzard & The Lizard Wizard

K.G.


Highlights: Automation // Straws In The Wind // Honey
Genre: Psychedelic // Fuzz
Sounds Like: Frank Zappa // Tame Impala // The Murlocs

VÖ: 20.11.2020

Erst gestern hatte ich ein Gespräch darüber, wie sich die Musikbranche und Musikmedien verändert hätten. Wie sich die längst nicht mehr existente Deutungshoheit des Radios als feintechnischer Seismograph für musikalische Besonderheiten, für das große Neue, zunächst ins Internet (Arctic Monkeys und MySpace, anyone?), dann spezifischer in Blogs verschob. Das Formatradio ist nichtssagend und vorhersehbar und jüngere Äußerungen des Spotify-Chefs Daniel Ek deuten darauf hin, dass der Streamingdienst nun zumindest nicht antritt, um die Rolle, die das Radio einmal innehatte, einzunehmen: Songs statt Alben, gerne in aller Kürze, denn auf die Klicks kommt es an. Nachdem Musikpublikationen (on-, wie offline) die Rolle der kulturellen Deutungshoheit auch schon lange nicht mehr einnehmen, ist es umso verwunderlicher (und hier ist sie endlich, die Kurve, die ich zur Albenrezension schlage), dass eine Band wie King Gizzard & The Lizard Wizard von ihrer Musik leben und ihr 17. Studioalbum in 10 Jahren aufnehmen können. Viel mehr noch: In einer Prä-Pandemie-Welt schaffte es die Band mit dem ungewöhnlichen Namen 10.000er-Venues (Alexandra Palace, London) zu füllen. Ein Riss im Raum-Zeit-Kontinuum? Wer weiß. Die letzte große Überraschung? Nicht unwahrscheinlich.

Der erste Absatz deutet es bereits an: Man kann nicht über King Gizzard sprechen, ohne all die Plattitüden auszupacken. Ungewöhnlicher Bandname, ungewöhnliche Output-Frequenz, ungewöhnlich ausufernd-proggige Songs. Alles ungewöhnlich. Aber eben auch alles bekannte Erzählungen. Die Frage danach, wie es eine Band schafft, sich in 10 Jahren und auf 16 Platten nicht zu wiederholen, nicht selbst zu zitieren oder zu referenzieren und auf jedem Album neu zu erfinden, wurde bisher nicht beantwortet. Das irgendwie selbstbetitelte „K.G.“, ihr 17. Studioalbum, bringt aber zumindest etwas Licht ins Dunkel. Das in der Pandemiezeit remote zusammengesteckte Stück Musik ist vermutlich das erste der Band, das so eine Art Überblick verschafft, sich nicht wiederholt, sondern mal kurz anhält und Luft holt – zurückblickt. Und das ist versöhnlich, irgendwie. Die auf dem 2017 erschienenen „Flying On An Microtonal Banana“ entdeckte und der Welt präsentierte Interpretation mikrotonaler Musik wird auf „K.G.“ weitergedacht, nochmal gedreht und gewendet. Hierzu wurden die Gitarren umgebaut, die Bünde verkleinert. Die Tonsprünge auf westlichen Instrumenten seien zu starr für die Zwecke der Australier. Fair enough und folgerichtig für eine Band, die westliche Popmusik ohnehin ständig neu definiert. Und wie das auch auf „K.G.“ wieder funktioniert! King Gizzard verlieren sich selten, kommen immer zum Punkt und schaffen letztlich mal wieder die Sensation. Mit den Köpfen in den Wolken und den Gedanken in der Dystopie vergessen sie nicht, uns abzuholen. Ihr Entwurf wird zurückübersetzt für diejenigen, deren Begriff von Popmusik (noch) nicht so weit ist.

Fuzzy Gitarren, nahöstliche Basslines, Orgeln. Das sind die Grundkoordinaten dieses Albums. Dazwischen viel Zappa und Kram, von dem wir Normalos eh noch nie gehört haben. Mühelos findet alles zusammen: Verschachtelte Rhythmen, tarantino-eske Gitarren in „Automation“, „Straws In The Wind“ bietet einen astreinen Westernvibe, der auf Math-Rock-Andeutungen trifft und „Honey“ ist schlichtweg das Liebeslied unserer Zeit ist („The world we're in is broken and you're the magic potion“).

Auf Album Nummer 17 beweisen King Gizzard, dass all unsere Theorien über Kulturrezeption falsch sind. So lange Bands, die wie Australier in den Zwischenräumen aus Spotify und 1Live Nachmittagsprogramm existieren können, während Zehntausende auf ihre Konzerte strömen, sind wir nicht völlig verloren.

Andreas Peters

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