Rezension

Jan Delay

Wir Kinder Vom Bahnhof Soul


Highlights: Showgeschäft // Abschussball
Genre: Funkpop und Popfunk
Sounds Like: Prince // James Brown // Falco // Udo Lindenberg // Clueso // Silbermond // Culcha Candela

VÖ: 14.08.2009

Oh Janny! Ein Ausruf, der sowohl Verzücken als auch Verzweiflung ob des jüngeren Oeuvres des Jan Eißfeldt ausdrücken kann. Die Ambivalenz, die Person und Künstler Jan Delay wohl häufiger entgegentritt, bestimmt natürlich auch die Wahrnehmung des neuen Albums „Wir Kinder Vom Bahnhof Soul“. Das Wortspiel besitzt dabei keinen tieferen Sinn, Soul kommt soweit vor wie im Funk eh nötig, ansonsten geht dieser Popfunk des „Mercedes Dance“ in eine zweite Runde.

Der Funkmaster Jan möchte unterhalten und unterhalten werden. Tatsächlich sollte es ihm leicht fallen, mit „Bahnhof Soul“ sowohl die Radiowellen des krisenfesten Gute-Laune-Landes D zu erobern wie auch im nächsten Jahr die Rolle des nationalen Headliners auf einem der großen deutschen Festivals würdig zu erfüllen … oder gar die Feuilletons zu kapern.

Schon „Oh Jonny“ gab vorab die Zielrichtung an. Ganz groß ins Radio, bloß nicht zu kompliziert sein, die Styler mit Tanzmoves und Blues-Brothers-Hinweisen gewinnen, der Rest will eh nur Entertainment, und mehr als das muss dann nicht geboten werden. Diese Ohrwurmtauglichkeit wird im Positiven wie Negativen auf die Spitze getrieben. Klanglich orientiert sich das Paket aus Eißfeldt, Disko No. 1 und den bereits vom Vorgänger bekannten Produzenten Tropf und Arfmann ganz an den klassischen Disco-Funk-Klängen. Diese werden detailliert wiedergegeben und so die Nachhilfestunde für die Nation gestartet.

Kreative Ausflüge oder Sperenzien finden sich nur in kleinsten Dosierungen. Sie kommen in „Showgeschäft“ vor, der Albumeröffnung, die direkt ins Bein geht und die Hoffnungen hochschraubt. Mit „Oh Jonny“ kann der Ersteindruck dann kaum Schaden nehmen, einfache Konsens-Unterhaltung, die man nicht mögen muss, aber kaum schlecht reden kann.

Das war’s dann aber erstmal mit den guten Nachrichten. Weite Teile des Albums klingen wie ein Tal der Langeweile. Musikalisch gibt es in aller poppiger Einfachheit kaum etwas auszusetzen, aber die gesamten Songs verströmen doch einen gehörigen Hauch Ödnis. Delay und Konsorten präsentieren den Sound der 70er aufgefrischt, lassen aber die Spannung vermissen. Vieles klingt einfach nur vertraut oder im schlimmsten Fall kopiert. Im besten Fall wiederum dürften Remixe der Instrumentals mehr überzeugen.

Potentielle Ausnahme könnte „Abschussball“ als James-Brown-Falco-Prince-Hybrid sein, der dem Einklang Einhalt gebietet und im Stil der live präsentierten Cover-Medleys daherkommt. Den qualitativen Zwischenspurt bremst leider „Hoffnung“ als einmal mehr eine Rio-Reiser-Gedächtnisnummer gleich wieder aus. Natürlich taugen auch „Large“ und „Disko“ als Hits für alle, garantieren Stimmung und Erfolg, aber musikalischen Anspruch – was immer das ist – besitzen sie wohl kaum.

Verzücken oder Verzweiflung? Indifferenz mit wechselnder Tendenz in die ein oder andere Richtung dürfte die fällige Gefühlslage eher treffen. Es gilt wie schon 2006: „Wenn mir die Lyrics [und der Gesang] auf den Zeiger gehen, kann ich mich an den musikalisch vielschichtigen Hits festhalten, wenn mir das alles zu ohrwurmig ist“, ist diesmal dummerweise alles verloren. Den Funk voll im Blick vermeidet Jan Delay es vollständig, einzelne der zahlreichen Verästelungen dieses Genre-Baums zu verfolgen, und windet sich geradeaus den kräftigen Stamm hoch. Risiko? Fremdwort. Der gerade Weg liefert Pop und Pop und Unterhaltung. Genau wie gewünscht.

Oliver Bothe

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