Rezension

Flying Lotus

You're Dead!


Highlights: Never Catch Me // The Protest
Genre: Post Hip-Hop // Free Jazz
Sounds Like: Hudson Mohawke // Kendrick Lamar // Captain Murphy // Boards Of Canada

VÖ: 03.10.2014

Steven Ellison wird spätestens rückblickend als einer der kreativsten musikalischen Köpfe unserer Zeit gelten. Und da dürfte schwerlich zu widersprechen sein. Der Ideenreichtum, den er ein ums andere mal in seine Alter Egos Captain Murphy und Flying Lotus fließen lässt, ist immens. Ständig hat man das Gefühl, Zeuge einer Wiedergeburt zu sein, weil sich der Kosmos, in dem sich Ellison bewegt, radikal ändert. De facto entwickelt sich der Kalifornier nur weiter – ohne viel Aufhebens im stillen Kämmerlein, nur radikaler als alle anderen. Wenn er sich dann doch mal zu Wort meldet, dann über Twitter, so wie kürzlich im Zuge der Veröffentlichung von „You’re Dead!“.

Wie im Wahn haute Ellison im Minutentakt ein Detail zur neuen Platte nach dem anderen raus. Zum Beispiel, dass Kendrick Lamar lässig mit Hoodie ins Studio kam und seinen Part zu „Never Catch Me“ im Vorbeilaufen aufgenommen hat. Ellisons Begeisterung ist unschwer aus den 140 Zeichen herauszulesen. Ebenso leicht sein Bedauern darüber, dass „Eyes Above“, dessen Beat er gemeinsam mit FKA Twigs und Niki Randa aufgenommen hat, ohne Kendricks Part auskommen muss: „Eyes above without Kendrick still breaks my heart“. „Turtles“ hätte es aufgrund des Ärgers mit den Rechten am Morricone-Sample fast gar nicht erst auf’s Album geschafft, während „The Protest“, das gleichzeitig den Abschluss des Albums bildet, für ihn das stärkste Statement der Platte abgibt. Selbstreflektiert sagt er über das ambitionierte Konzept des Albums, das sich rund um das Thema Tod dreht: „I knew that when I set out to make this record, I'd lose some people with the concept but I didn't do this shit to be crowd pleasing“.

Diese Auszüge des persönlichen Track-by-Track auf FlyLos Twitter-Kanal sind einerseits lesenswert aufgrund ihrer direkten inhaltlichen Bedeutung. Andererseits, und das ist hier vielleicht noch viel wichtiger, zeigen sie deutlich, mit welchem Anspruch an Perfektion und welcher Hingabe Ellison sein Werk mehrfach seziert, hinterfragt und aufpoliert, bevor er es das Licht der Welt erblicken lässt. Nur so ist zu erklären, wie er auch auf dem fünften Album stets punktgenau die Genregrenzen aufweicht und Jazz, Breaktbeat, Hip-Hop, Elektro und all ihre Enkel und Urenkel zu einem in sich schlüssigen Gesamtkunstwerk verschmelzen lassen kann.
Auf „You’re Dead!“ wird außerdem einmal mehr unverkennbar deutlich, welch enormen Einfluss seine Tante Alice Coltrane auf seine musikalische Sozialisation hatte. Die persönlichen Einflüsse verschwinden zusehends hinter einer musikalischen Fassade, die man vor einigen Jahren noch mit Free Jazz oder Fusion betitelt hätte, die heute aber vielleicht am Besten mit dem Begriff „Post Hip-Hop“ beschrieben werden kann. Das wird deutlich, wenn man sich „Never Catch Me“ mit Kendrick Lamar und „Dead Man’s Tetris“ mit seinem Alter Ego Captain Murphy und Snoop Dogg anhört. Eine fast schon selbstverständliche Symbiose, die dem Jazz eine kontemporär-urbane und popkuturelle Note verpasst, ohne ihn dabei zu bagatellisieren und seines künstlerischen Anspruchs zu berauben.

„You’re Dead!“ ist ein großes Album, weil es den Geist von 2014 ff. so visionär und präzise einfängt, wie es bisher vielleicht nur Radiohead vermochten. Das Ganze wird vom konzeptionellen und erzählerischen Leitmotiv „Tod“ durchzogen – ein Leitmotiv, das besser nicht in diese Zeit passen könnte. Denn der Tod als immer währende Gefahr und Erinnerung an die oft zitierte Generation Y, die scheinbar grenzenlose Freiheit (aus)nutzen zu müssen, ist vielleicht eines der größten Subthemen unserer Zeit. Oder um es mit Kendricks Worten zu sagen:

I can see the darkness in me and it's quite amazing
Life and death is no mystery and I wanna taste it
Step inside of my mind and you'll find curiosity, animosity
High philosophy, hyper prophesied meditation.

Andreas Peters

Sehen


Video zu "Never Catch Me" mit Kendrick Lamar

Finden


Bye-Bye



Am 5. Januar 2021 haben wir éclat eingestellt. Mehr Infos hierzu gibt es auf unserer Startseite!