Rezension

Crystal Castles

(II)


Highlights: Celestica // Baptism // Empathy // Vietnam
Genre: Elektro
Sounds Like: Ladytron // The Knife // Midnight Juggernauts // Miss Kittin // Simian Mobile Disco // Kraftwerk

VÖ: 21.05.2010

Crystal Castles scheinen ihren musikalischen Weg auf ihrem zweiten, wiederum unbetitelten Album gefunden zu haben. Der Vorgänger bot eine wüste Kombination aus Noise-Ausbrüchen, Atari-Sounds und (meist düsterem) Elektropop und überzeugte vielleicht gerade aufgrund dieses inneren Widerspruchs. Ekstase und Endzeitstimmung, wie eine vormals zerstrittene Familie, vereint durch Crystal Castles. Ein Song stach vor zwei Jahren unserer Ansicht nach besonders heraus: das morbid-schöne "Vanished" – um Kollege Weinreichs Rezension zum Debütalbum zu zitieren: "100% tanzbar, doch gefühlt vielleicht das traurigste Lied des Jahres". Auch Ethan Kath und Alice Glass als Interpreten haben offenbar so gedacht – und orientieren sich nun auf ihrem neuen Werk fast vollends in Richtung dieses Songs.

Die Auskopplung "Celestica" ist einer der potentiellen "Vanished"-Nachfolger. Ein sphärischer Elektropop-Track, dem zahlreiche Hall-Effekte über Vocals und die restlichen Tonspuren sowie Synthesizer-Arpeggi eine Distanziertheit verschaffen, die den Hörer in ein Planetarium hineinversetzen. "Baptism" kombiniert diese Grundstimmung aus einer 8-Bit-Elektrobleep-Sequenz zusätzlich mit einem Meteoriteneinschlag aus Alice Glass' verzerrtem Geschrei und trashigen Synthie-Schockwellen. Allgemein wurde der Noise-Faktor auf dem Zweitwerk aber deutlich heruntergefahren. Nur zu Beginn des Albums finden sich mit dem verstörenden "Fainting Spells" und "Doe Deer", auf dem Alice Glass zu schnellem Elektropunk kreischt wie ein Black-Metal-Frontmann, zwei infernalische Ausbrüche. Die Atari- und Nintendo-Sounds, mit denen die ekstatischsten Tracks des ersten Albums gespickt waren, gehören jedoch der Vergangenheit an.

Stattdessen konzentrieren sich Crystal Castles darauf, die "Friedhof-in-der-Einöde"-Stimmung des neuen Albumcovers auch musikalisch voll einzufangen. Das schöne "Empathy" will mit seinen fast schon warmen Harmonien gar nicht so recht zu diesem Setting passen. "Suffocation" und "Pap Smear" erinnern jedoch beide wieder deutlich an "Vanished", nicht zuletzt deshalb, weil sie sich exakt des selben Drum-Tracks bedienen. Da hätte Ethan Kath in den letzten zwei Jahren ruhig einmal ein paar neue programmieren können. Das fast drumlose "Violent Dreams", dessen Gerüst aus abgesägten Synthie- und Vocal-Fragmenten besteht, hat dieses Problem nicht – genauso wenig wie das Highlight "Vietnam", das zwar wieder den selben Drumtrack nutzt, sich aber, bevor der Song richtig loslegt, zunächst in einem düsteren Tremolo auf dem Synthie-Bass auflädt und eine andere Struktur aufweist als oben genannte Songs.

Ein Merkmal, das den meisten Songs auf Crystal Castles (II) innewohnt, sind die bis zur Unkenntlichkeit entfremdeten Lyrics, die teils nur bruchstückweise wiedergegeben werden und primär atmosphärischen Zwecken dienen. "Intimate" verzichtet gar komplett auf Vocals und stellt stattdessen schnelle Arpeggi in grenzwertiger Tonhöhe in den Vordergrund. Insgesamt hat das Zweitwerk des kanadischen Duos etwas von einem zweischneidigen Schwert. Einerseits freut man sich über die atmosphärische Dichte und Homogenität des Albums, andererseits vermisst man auch die Nintendo-Sounds und die Zerfahrenheit des Vorgängers ein wenig. Nahezu jeder Song auf der neuen Platte hat seine Berechtigung, insgesamt ist das Album aber fünf bis zehn Minuten zu lang geraten. Ungeachtet dieser kleineren Kritikpunkte haben Crystal Castles eines bewiesen: Die von vielen zuvor befürchtete Eintagsfliege sind sie keineswegs.

Johannes Neuhauser

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