Rezension
Angel Olsen
My Woman
Highlights: Intern // Give It Up // Sister // Pops
Genre: Singer/Songwriter // Pop // Folk // Rock
Sounds Like: Cat Power // Patti Smith // PJ Harvey
VÖ: 02.09.2016
Angel Olsen spielt weiterhin in ihrer ganz eigenen Liga. Und in dieser Liga sticht jedes Album für sich heraus, das tat vor drei Jahren „Burn Your Fire For No Witness“, das tut nun „My Woman“, soviel sei gleich anfangs gesagt. Die Alben Olsens nun irgendwie, wie oft gern gemacht, einzuordnen, das eine zum „besten Album“ deklarieren, das andere damit automatisch als weniger gut zu bezeichnen, macht wenig Sinn. Denn: vor allem diese neuesten beiden Platten stellen etwas völlig Eigenständiges dar, das durch das Charisma Olsens, über Stimme und Texte transportiert, zusammengehalten wird.
Dabei versucht sie mit dem Opener „Intern“ ganz bewusst, das sagt sie auch, die Hörenden zunächst zu verwirren. Dies ist der Song der Platte, der am meisten nach 80er-Disco-Pop klingt. Aber dennoch ist der Song eben vor allem eines: Angel Olsen. Doch er zeigt, wie geschickt Olsen mit Erwartungen spielt, wie wandelbar sie ist. Bewusst ist auch die erste Hälfte der Platte die laute – die erste Seite der Platte, und die zweite Hälfte die leisere, damit die Hörenden je nach Stimmung auflegen können. Olsen liebt es, mit Erwartungen zu spielen, mit Stereotypen. Ganz bewusst nennt sie die Platte „My Woman“, um eine Erwartungshaltung beim Hörenden zu kreieren, was unter diesem Begriff gefasst wird, und diesem dann auf der Platte zu widersprechen. Selbst sagt sie, dass eines ihrer Lebensziele ist, sich von ansozialisierten Erwartungen und Schubladen so frei wie möglich zu machen.
Bei all der Gesamtkunst der Platte rücken die einzelnen Songs fast in den Hintergrund des Gesamtwerks, das noch größer ist als die Summe derer. Doch: auch die Songs sind richtig gut. „Shut Up Kiss Me“ ist der raueste Song der ersten Hälfte, Olsen plärrt den Refrain heraus. Gerade die zweite Hälfte des Albums gibt „My Woman“ einen zeitlosen Touch. Songs wie „Sister“ wurden wohl selten geschrieben. Hier schwebt Olsens Stimme über den perfekt akzentuierten Gitarrenklängen. Der Song enthebt sich jeglichem Kontext, könnte ebenso schon dreißig, vierzig Jahre alt sein. Ein Satz wie „All my life is solid change“ war eben immer wahr, ist wahr, und wird wahr bleiben. Fast acht Minuten dauert dieses Glanzstück der Klangkunst an und ist das beste Beispiel dafür, wie gut Olsens Musik im Studio aufgenommen wird. Closer der Platte ist das tiefemotionale „Pops“, hier singt Olsen noch ferner, noch unnahbarer, gefühlt aber zugleich direkt ins Ohr. Den Song in Worten zu beschreiben, fällt schwer, er steht für sich und ist eine tiefe Pianoballade, die bleibt. „I’ll be the thing that lives in the dream when it’s gone“.
Auf „My Woman“ ist die selbe erhabene Versunkenheit wie auf den Vorgängeralben zu finden, eine tiefe Emotionalität, ständig im Wechselspiel mit Olsens vermeintlich kühler, distanzierter Art, diese über ihren Gesang zu transportieren. In diesem Gegensatz, und in den Kernelementen Schmerz, Traurigkeit und Hoffnung, irgendwo dazwischen findet sich jeder Hörende wieder, und das gibt Olsens Musik einen universalen Charakter: Sie stammt von ihr, aber im selben Moment auch nicht. Die Songs sind persönlich, aber nicht persönlich über sie, sondern über jede Person, die ihnen zuhört. Durch ihre eigene vermeintliche Unnahbarkeit wird die Musik nahbar für alle. Alle werden ihre eigenen Bilder und Assoziationen zu dieser Musik finden. Dieses Merkmal ist so eindringlich, dass es letztlich wenig ausmacht, ob der Song jetzt nach 80er-Disko klingt und voller Synthies ist, ein Folksong oder ob er eine Klavierballade ist. Und ebenso ist es ein Merkmal, das viele der ganz großen Songwriter*innen vereint, und mit „My Woman“ gehört Angel Olsen in dieser Kategorie so langsam, aber sicher genannt.
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