Interview

Yeasayer


Mit „Odd Blood“ haben Yeasayer vor einem halben Jahr ihren Status als äußerst einfallsreiche Band untermauert. Bassist Ira Wolf Tuton erklärt im Abschluss unserer Interview-Reihe vom Haldern Pop 2010 unter anderem, wie man als Band so kreativ bleibt und warum es oberstes Ziel sein sollte, eigenständig zu klingen.

Euer neues Album „Odd Blood“ ist vom Sound her sehr simpel. Warum habt ihr euch dazu entschlossen, euch von dieser „Wall Of Sound“ des Debütalbums zu entfernen und stattdessen etwas gemäßigter zu klingen?

Ira Wolf Tuton: Das ist ganz einfach zu erklären. Auf „All Hour Cymbals“ haben wir alles ausprobiert, was nur möglich war. Wir waren ja absolute Grünschnäbel, die überhaupt gar keine Ahnung davon hatten, was jetzt sound- oder produktionstechnisch am besten ist. Deswegen haben wir einfach gemacht und gemacht und das Resultat war dann logischerweise dieser überladene Sound. Beim neuen Album wollten wir das anders machen. Die Platte sollte insgesamt stimmiger und geschlossener klingen und so ist es dann letztendlich dazu gekommen, dass diese „Wall Of Sound“, wie du es nennst, zugunsten eines einheitlichen Sounds gewichen ist.

Die Percussion- und Synth-Arbeit bei den neuen Songs klingt für mich ganz klar nach den 80ern. Hat euch die Musik dieser Zeit sehr bei den Aufnahmen beeinflusst?

Ira: Eigentlich waren wir mehr von der aufkommenden Dance-Musik Anfang der 90er beeinflusst. (lacht) Wenn Leute Synthesizer hören, denken sie häufig automatisch an die 80er, was ja auch nicht ganz verkehrt ist, schließlich war das die erfolgreichste Zeit für Synth-Musik. Erst in den frühen 90ern wurde das Instrument aber so richtig für tanzbare Musik entdeckt. Genau da wollten wir auch für unser neues Album ansetzen und haben uns deshalb im Vorfeld der Aufnahmen hauptsächlich auf die Dance-Musik der beginnenden 90er konzentriert.

Trotzdem habe ich den Eindruck, dass sich momentan unglaublich viele Bands auf die 80er beziehen. Was ist denn musikalisch so besonders an diesen 80ern?

Ira: Ich glaube, das Jahrzehnt damals ist musikalisch genauso bedeutend oder unbedeutend wie jedes andere Jahrzehnt. Nur weil bestimmte Genres in einem Jahrzehnt ihre erfolgreichste Phase hatten, macht das diese Dekaden nicht unbedingt musikalisch besser als andere. Ich kenne genug Bands, die heute besser klingen als Bands in den 80ern und das, obwohl sie haargenau die gleiche Musik wie damals machen. Umgekehrt gilt das aber ebenfalls. Dass gerade jetzt so viele Bands diesen Synth-Sound benutzen, hängt für mich mit der musikalischen Wiederholung zusammen. Wir hatten im Prinzip alles schon mal da, jetzt können die Genres nur noch in Nuancen verfeinert werden. Die 80er sind momentan gerade dran, in zehn Jahren wahrscheinlich der Sound der 90er. So läuft das eben.

Ich weiß aber, was Yeasayer so besonders macht. Man kann euch einfach nicht in irgendeine Schublade stecken. Ist es für euch als Band wichtig, nicht so einfach klassifiziert zu werden?

Ira: Ja, auf jeden Fall. Das sollte das Ziel jeder Band sein. Wenn man nur Musik machen will, indem man beispielsweise einfach Neil Young covert, dann soll man es lieber gleich sein lassen. Solche Bands braucht kein Mensch. Es geht darum, sich von anderen abzuheben, der Musik etwas Neues hinzuzufügen, auch wenn das heutzutage immer schwerer wird. Ich möchte in einer Band sein, die einzigartig ist und die sich entwickelt. Darum geht es mir. Wer das probiert, kann auch nur gewinnen, denn schließlich zählt alleine schon der Versuch. Dass es nicht immer klappt, ist natürlich klar. Das ist auch eine Herausforderung, die dich als Band am Leben hält: Musik zu schreiben, die eben anders ist als alles andere. Ohne diese Herausforderung ergibt es meiner Meinung nach doch keinen Sinn, Musik zu machen. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, dass es dennoch genügend Bands gibt, die sich in der Rolle als einfache Rip-Offs zufrieden geben. Ich würde mir an deren Stelle jeden Tag die Existenzfrage stellen.

Ihr habt ja viele programmierte Elemente in eurer Musik. Ich stelle mir das immer verdammt schwer vor, das alles auf die Bühne zu übertragen.

Ira: Es ist eine Gratwanderung. Einerseits möchtest du mit Backing-Tracks und Samples viele dieser Elemente auch live auf der Bühne haben, andererseits willst du ja live trotzdem noch genug Spielraum haben, um nicht völlig wie von Platte zu klingen. Da muss man viel abwägen und Kompromisse und Zugeständnisse machen. Das sind schwierige Entscheidungen und ich empfinde diese Arbeit auch als weit schwieriger und mühseliger als die eigentlichen Album-Aufnahmen.

Klappt es auch manchmal gar nicht mit der Umsetzung?

Ira: Ja. „Germs“ vom ersten Album haben wir nie live gespielt. Auch „I Remember“ von der Neuen haben wir nach kurzer Zeit aufgegeben. Es war einfach zu schwierig, die Songs live adäquat umzusetzen. Da muss man dann eben auch mal loslassen und das akzeptieren. Das ist anfangs zwar unglaublich frustrierend, aber irgendwann hat man sich damit abgefunden.

Chris (Keating – Sänger, Anm. d. Red.) arbeitete kürzlich mit Simian Mobile Disco zusammen, Anand (Wilder – Gitarrist, Anm. d. Red.) war in einem Musical involviert und ihr alle habt auf der letzten Bat-For-Lashes-Platte mitgewirkt. Braucht ihr manchmal Distanz zu eurer Band, um kreativ zu bleiben?

Ira: Gute Frage! Ich würde sie schon mit einem klaren „Ja“ beantworten. Man muss ab und zu seinen Kopf frei bekommen, sonst fühlt man sich irgendwann zu sehr eingeengt, auch wenn wir bei Yeasayer eigentlich alle künstlerischen Freiheiten genießen, die man haben kann. Es ist auch gut, andere Projekte nebenher zu haben, weil diese wie Weiterbildungen fungieren. Danach hat man immer unglaublich viel dazu- oder neu gelernt und kann dieses neue Wissen dann auch bei der eigenen Hauptband einbringen. Das bringt zum einen die Band natürlich weiter und zum anderen führt es dazu, wie du schon sagtest, dass man den kreativen Prozess am Laufen hält.

Mit „Odd Blood“ war es auch so, dass das Album schon lange vor Release im Internet geleaked war. Fühlst du dich denn nicht in gewisser Weise „beklaut“, wenn Leute schon lange vorher Zugang zu etwas von dir haben, was du ihnen noch vorenthalten wolltest?

Ira: Damit hab ich mich inzwischen abgefunden. Klar, es ist etwas enttäuschend, wenn deine Arbeit plötzlich irgendwo auftaucht und du dir denkst: „Moment, das Album haben wir doch erst vorgestern abgeschlossen!“. Es ist ein wenig so, als ob ein Bild zu früh enthüllt wird.
Andererseits muss man aber ganz klar sagen, dass solche Leaks natürlich auch mit dafür verantwortlich sind, dass wir überhaupt hier jetzt touren dürfen. Wären die Downloads nicht kostenlos, würde vielleicht nur ein Bruchteil der Fans uns kennen und wir würden wahrscheinlich jetzt noch in ranzigen Hinterhöfen in Brooklyn spielen. Stattdessen spielen wir jetzt in Polen vor 5.000 Leuten, die zwar alle das Album nicht gekauft haben, aber jeden Song mitsingen können. Das ist doch absolut großartig! (lacht)

Du sprichst Brooklyn an. Ihr lebt und schreibt dort eure Musik, wie zahlreiche andere kreative Bands dieser Tage. Wieso ist Brooklyn denn so ein spezieller Ort für Musiker?

Ira: In Brooklyn versammeln sich so ziemlich alle Freaks, Kreativköpfe und begnadete Musiker. Nicht nur aus den USA, sondern aus der ganzen Welt. Es ist wie ein riesiger Schmelztiegel für Kunst. Ich kenne keinen Ort, der dermaßen inspirierend ist und dich als Künstler weiter bringt. Man wird akzeptiert, egal was man tut, man wird von vielen Menschen unglaublich unterstützt...man hat einfach die besten Grundvoraussetzungen, sich dort weiterzuentwickeln. Der Witz ist: wir alle leben und arbeiten dort, doch aus Brooklyn selbst kommt eigentlich kein Mensch. (lacht)

Hört sich wie eine riesige Kommune an.

Ira: Könnte man meinen, ja. Kommunenhaft ist aber nur das Arbeiten dort. Sex dürfen wir Gott sei Dank auch außerhalb von Brooklyn haben! (lacht)

Photo by Jason Nocito.

Benjamin Köhler

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