Interview
Wintersleep
Meiner Meinung nach klingt "Welcome To The Night Sky" wesentlich reifer als eure Alben davor. Seht ihr das genauso?
Mike Bigelow: Weißt du, das ist witzig, weil ich erst nach den Aufnahmen der zweiten Platte zu der Band gestoßen bin und auch zuerst nur Keyboard gespielt habe.
Dann bist du offensichtlich der Falsche, um diese Frage zu beantworten?
Mike: (lacht) Nein, nein. Ich kann da auch was dazu sagen, ich kenne die Jungs ja jetzt schon eine ganze Weile. Besonders im Vergleich zu dem ersten Album, der Selftitled, klingt "Welcome To The Night Sky" wie ein Quantensprung für mich.
Was sind die Dinge, die sich deiner Meinung nach am meisten verändert haben im Vergleich zu früher?
Mike: Also, da hat sich schon vieles geändert. Das fängt ja schon beim Band-Line-Up an. Der vorige Bassist Jud Haynes hat die Band 2007 verlassen, dafür kam ich dann rein. Ich habe zuerst dann Keyboard gespielt, bis wir gemerkt haben, dass Jon (Samuel – Keyboarder) einen wesentlich besseren Job macht als ich und da blieb mir dann nur noch selbst der Bass übrig. Ich denke, die Umstände, dass jeder jetzt seinen festen Platz in der Band gefunden hat und wir in dieser Formation eine ganze Weile getourt haben, haben uns insgesamt musikalisch extrem vorangebracht und das Ergebnis ist, dass "Welcome To The Night Sky" jetzt wesentlich ausgereifter klingt als die zwei Alben davor.
Ihr habt ja euren ersten zwei Alben keine richtigen Namen gegeben. Was war bei eurem dritten Streich jetzt der Anlass, diese "Tradition" zu ändern?
Tim D´Eon: Ich kann es dir ehrlich nicht sagen. Wir hatten den Titel einfach irgendwo im Hinterkopf, weil wir alle fanden, dass er sich schön anhört. Dann haben wir ihn einfach genommen, ohne darüber nachzudenken. Bei den ersten beiden Alben hatten wir wohl einfach keine gute Idee (lacht).
Ihr habt ja "Welcome To The Night Sky" schon vor fast drei Jahren in den USA und in Kanada released. Nervt es euch nicht, hier immer noch auf Promotour zu sein, anstatt an einem neuen Album zu arbeiten?
Tim: Es ist nicht so nervig, wie man vielleicht glauben mag. Das Touren hier ist einfach total anders als bei uns drüben und deswegen ist diese Promotour wieder etwas völlig anderes für uns.
Inwiefern ist das Touren denn hier anders?
Mike: Die Leute behandeln dich hier wesentlich besser.
Soll das heißen, ihr werdet bei euch schlecht behandelt?
Tim: (lacht) Nein, also so extrem schlecht ist es bei uns dann auch nicht. Aber hier in Europa sind die Leute einfach gastfreundlicher. Wir haben hier die Garantie, dass wir mindestens eine warme Mahlzeit am Tag bekommen und es irgendwo eine Schlafmöglichkeit für uns gibt. Das kann man besonders in den USA nun wirklich nicht als alltäglich betrachten.
Mike: Und hier gibt es sogar Freibier! Bei uns müssen wir immer dafür bezahlen, weil die alle keine besoffenen Bands haben wollen, dabei trinken wir jetzt gar nicht so viel. Und dann ist das Bier im Vergleich zu hier auch noch eine echte Pissbrühe.
Habt ihr auf dieser monströsen Tour dennoch ein bisschen Zeit gehabt, an neuen Songs zu arbeiten?
Tim: Ja, wir haben schon einige Demos eingespielt und hoffen, im September mal etwas im Studio einspielen zu können. Wir haben dann am Ende des Jahres noch einmal eine Tour, aber vielleicht steht schon der Großteil bis Weihnachten. Mit einem Release, und wir bemühen uns dieses mal echt, die Platte gleichzeitig in Europa zu veröffentlichen, kann man aber, denke ich, nicht vor dem nächsten Frühjahr rechnen.
Was können wir denn ungefähr von eurem kommenden Album erwaten?
Tim: Also, es wird schon anders klingen als "Welcome To The Night Sky". Ich kann es zwar noch nicht genau sagen, aber ich denke nicht, dass das nächste Album so leicht zugänglich sein wird.
Mike: Es gibt einige wirklich düstere Songs.
Noch düsterer? Auch von den Lyrics her? Die waren ja dieses mal schon alles andere als lebensbejahend.
Tim: (lacht) Ohja, das stimmt. Aber warte mal, bis du die neuen Songs hörst.
Mike: Es wird auch zwei oder drei wirklich epische Songs geben. Ungefähr im Stil von "Miasmal Smoke & The Yellow Bellied Freaks".
Wow, das ist mal eine gute Nachricht. Ich denke, für viele, die euch kennen, ist das einer der Lieblingssongs. Da freuen wir uns wirklich drauf.
Tim: Und wir erst (lacht).
Ganz anderes Thema:
Wenn ich an Musik aus Kanada denke, denke ich da immer zuerst an diese zwei großen Künstlerkollektive in Montreal und Toronto. Wie sieht es da mit Halifax aus, wo ihr herkommt?
Mike: Also, in Halifax ist eigentlich gar nichts los. Die Bedingungen, dort Musik zu machen, sind doch äußerst mäßig bis beschissen. Es gibt eigentlich kein richtig gutes Aufnahmestudio, Locations zum Auftreten sind für Indierockbands im Prinzip gar nicht vorhanden und ein wirkliches "Kollektiv" gibt es da schon gar nicht. Das ist auch der Grund, warum wir dieses Jahr nach Montreal umgezogen sind. Wie du schon angedeutet hast, ist die Musikszene dort einfach fruchtbarer und ich hoffe und erwarte eigentlich auch, dass sich das positiv auf unsere Musik auswirken wird.
Was macht Montreal denn so besonders für Musiker?
Tim: Das fängt schon einmal mit der Lage an. Es sind nur fünf Stunden nach New York oder Toronto, wo es ja mehr Auftrittsmöglichkeiten als Häuser in Halifax gibt (lacht). Ne, das stimmt nicht ganz, aber du weißt, was ich meine.
Mike: Du hast halt auch einfach schnell passende Bands parat, die mit dir auf Tour gehen können und wollen. Früher war das immer so eine Suche und ein unglaublich großer logistischer Aufwand. In Montreal ist es einfach so, dass Wolf Parade anrufen und fragen, wie es mit drei Gigs in New York aussieht und nach zehn Minuten hast du quasi schon alles geklärt.
Ihr habt ja im letzten Jahr den Juno Award, das kanadische Äquivalent zu den Grammys, abgeräumt. Dachtet ihr da: "Wow, jetzt haben wir es geschafft."? Oder hat euch das gar nicht beeinflusst?
Mike: Also, ich denke nicht, dass wir wegen des Awards jetzt irgendwie höhere Ansprüche haben oder uns jetzt wie Stars vorkommen. Da muss man realistisch sein. Die Musikszene ist zu schnelllebig und wir keine Mainstreamband. Ein Achtungserfolg, das ist alles.
Tim: Ich muss aber schon sagen, dass es ein schönes Gefühl war, für ein ganzes Album ausgezeichnet zu werden. Es ist doch so, nahezu jede Band schreibt irgendeinen wirklich guten Song, auf den sich alle einigen können. Wenn sich aber viele auf ein Album einigen können und man dafür auch noch eine Anerkennung bekommt, dann ist das natürlich ein überwältigendes Gefühl.
Dennoch ging es für euch steil bergauf. Immerhin hat euch Sir Paul McCartney dazu eingeladen, eine Show von ihm im Juli zu eröffnen. War das eine spezielle Erfahrung für euch, oder ein ganz gewöhnlicher Opening Gig?
Tim: Nein, es war schon was ganz Spezielles.
Mike: Wir haben ihn ja auch treffen können.
Tim: Ja, wir hingen gerade so im Backstagebereich rum und da kam er auf einmal einfach zu uns rein. Ich dachte nur: "Scheiße, das ist Paul McCartney, was macht der bloß hier bei uns?"
Mike: Er kam kurz vor unserem Gig rein und er ist wirklich ein wahrer Gentleman. Total freundlich und ein ganz normaler Kerl. Aber es war schon ein extrem seltsamer Moment. Da steht auf einmal eine Legende wie Paul McCartney vor dir und du begreifst erst richtig, was das heißt: Eine Legende sein.
Ihr habt ja auf dem Konzert in einer riesigen Arena gespielt. Heute ist es ein kleines Spiegelzelt. Was gefällt euch denn besser?
Mike: Nach allem, was ich bisher gesehen habe, ist dieses Spiegelzelt der Wahnsinn. Ich muss auch sagen, dass ich kleine Locations allgemein auch wesentlich besser finde als solch riesige Venues.
Tim: Ohja. Das Liveerlebnis ist viel intensiver. Du bekommst die Energie des Publikums zu spüren und kannst sie so als Band auch viel besser zurückgeben. Das ist bei großen Stadien zwar auch der Fall, aber es herrscht normalerweise dennoch eine größere Distanz zwischen Fans und Band.
Mike: Ich finde sogar, dass kleine Konzerte besser klingen, wenn der Mischer nicht allzu sehr herummurkst (Anm. d. Redaktion: Genau das sollte später zu Beginn des Wintersleep-Konzertes aber der Fall sein!).
Kommen wir zu einem leidigen, aber notwendigen Thema: das Musikbusiness. Vinyl scheint im Moment ja wieder im Aufschwung zu sein. War das ein Grund für euch, "Welcome To The Night Sky" jetzt auch auf Vinyl wieder zu veröffentlichen?
Tim: Naja, wir haben eigentlich all unsere Platten bisher auch auf Vinyl rausgebracht, die sind nur mittlerweile alle vergriffen. Aber wir glauben auch an Vinyl und daran, dass es dieses Format durch diese ganze Downloadhölle schafft. Die CD wird dabei untergehen, Vinyl hoffentlich nicht.
Mike: Es ist wirklich unglaublich. Jede Person, die ich treffe, kauft mittlerweile wieder oder immer noch Vinyl. Wer wirklich Musik mag, der fühlt sich mit der Schallplatte einfach auf Lebenszeit verbunden. Deswegen glaube ich auch, dass uns Vinyl immer begleiten wird, weil es unter dem Strich doch noch genügend Käufer dafür gibt. Und selbst, wenn das nicht der Fall sein sollte, ist mir das scheißegal. Wir bringen die Platten dann trotzdem als Vinyl raus.
Tim: Zum an die Klotür hängen (lacht).
Mike: (lacht) Ganz genau!
Tim: Es ist ja nicht so, dass wir Downloads hassen, ganz im Gegenteil. Ich denke, das ist eine gute Sache, um irgendwo reinzuhören oder sich mit einer Band vertraut zu machen. Aber das richtige Hörerlebnis – und das wird dir jeder bestätigen können - hast du nur auf deiner heimischen Anlage mit rotierendem Vinyl.
Mike: Die meisten Vinyls haben ja mittlerweile auch einen Downloadcode dabei. Besser geht es doch gar nicht!
Ihr glaubt also nicht daran, dass Musik in Zukunft nur noch im Netz erhältlich sein wird?
Mike: Naja, iTunes hat den Fuß weit in die Tür gestellt. Ich könnte mir schon vorstellen, dass die in absehbarer Zeit das absolute Monopol auf dem Musikmarkt haben. Aber es wird immer irgendwelche Leute geben, die lieber was Handfestes in den Händen halten. Vielleicht denke ich da aber auch einfach zu romantisch (lacht).
Tim: Keine Angst. Falls sich da was gravierend ändert, wirst du es garantiert nicht mehr miterleben (lacht).
Mike: Ich hasse, nebenbei gesagt, auch den Umstand beim Downloaden, dass das Albumkonzept so total den Bach runtergeht. Will dann jeder nur noch die Singles haben und wie scheiße ist das dann bitteschön? Da könnt ihr Musikredakteure dann auch gleich euren Job einstellen und das wollen wir ja schließlich nicht.
Na, ob ihr das nicht manchmal wollt? Da bin ich mir nicht so sicher...
Tim: Hey, wir brauchen euch schon alleine deswegen, weil wir die Zeit auf den Festivals rumkriegen müssen. Wir können ja nicht ununterbrochen saufen (lacht).
Das ist ein gutes Schlusswort. Prost.
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