Interview

Okkervil River


Die Extrapolation der Rock-Geschichte: Will Sheff, Frontmann von Okkervil River, erklärt uns im Hamburger Uebel & Gefährlich, wie der Rock 'n Roll eines Tages sein Ende finden wird – kann uns aber nicht genau erläutern, was bestimmte Fabelwesen in seinen Träumen bedeuten...

Hallo Will! Euer Tourmanager erzählte mir, dass ihr gestern noch in Stockholm wart?

Will Sheff: Ja genau, wir sind eigentlich die ganze Nacht hindurch gefahren. Die Tour war toll bisher, wir haben lange nicht mehr im Ausland getourt, abgesehen von ein paar Promoshows.

Normalerweise frage ich Bands zu Beginn eines Interviews oft, wie das Publikum auf das neue Material reagiert hat, aber in deinem Fall habe ich das Gefühl, dass dir die Meinungen anderer zu deiner Musik recht egal sind.

Will: Na ja, die Leute müssen mit neuem Material ja sowieso immer erst warm werden. Natürlich reagiert niemand so auf ein neues Lied wie auf eins, dessentwegen man vielleicht gekommen ist. Deswegen frustriert zu sein oder die Setlist zu ändern, wäre bescheuert und je mehr Leute das Album hören, desto mehr werden auch die neuen Songs hören wollen.

Ich meinte damit auch, dass dir beim Songschreiben die Meinungen anderer Menschen egal sind.

Will: Ich meine damit nicht, dass mir die vollkommen schnuppe sind, aber ich glaube nicht, dass irgendjemand etwas davon hätte, wenn ich nur die Zustimmung anderer suchen würde. Das würde nur von Schwäche und Verzweiflung zeugen, und wer will schon schwache, verzweifelte Künstler? Im Endeffekt muss man das machen, woran man glaubt und es durchziehen, dann gefällt es vielleicht auch anderen. Wenn man das nicht tut, verscheucht man nur jedes potentielle Publikum. Ich glaube, das trifft auch auf das Leben im Allgemeinen zu: Wer immer nur andere Leute zufrieden stellen möchte, bewirkt das Gegenteil.

Ich habe gelesen, dass du bei "The Stage Names" und "The Stand Ins" absichtlich versuchtest, Musik zu schreiben, die vielen Menschen gefallen würde – als eine Art Experiment.

Will: Das stimmt. Ich war sehr interessiert daran, wie bestimmte Songs von Phil Spector, David Bowie oder auch Motown-Musik sehr kalkuliert versuchten, ansprechend zu sein und dennoch intelligent waren. So waren Filmkomödien in den 30er Jahren auch. So etwas zu erschaffen, war mein Ziel. Auch das war aber kein verzweifelter Versuch, gemocht zu werden, die Zutaten für solche Musik haben mich viel mehr beschäftigt. Als dieser Zyklus aus Album und Tour beendet war, fühlte sich das aber wie eine Sackgasse an.

Hast du die Zutaten denn bestimmen können?

Will: Ja, es gibt immer irgendeine Art von Hook – vielleicht ein bestimmter Part in der Musik, er kann aber auch konzeptioneller Natur sein, ein bestimmter Moment, der Leuten gefällt oder ein Wechsel innerhalb der Dynamik. Sparsamkeit im Ausdruck gehört auch dazu. Das ist natürlich keine große Offenbarung, das war schon immer so. Viele mögen kurze, elegante Songs. Ich glaube, alle mögen dasselbe, wenn es um Pop geht, aber bei komplizierterer, esoterischerer Musik scheiden sich die Geister viel mehr. Die Incredible String Band ist mir zum Beispiel wichtiger als Phil Spector.

Gibt es Songs, die du geschrieben hast, wo deine Meinung und der Konsens auseinander driften? Die zum Beispiel immer auf Konzerten gefordert werden, obwohl du sie gar nicht besonders gelungen findest?

Will: "Calling And Not Calling My Ex" geht mir irgendwie auf die Nerven – der ist so schnell zustande gekommen, dass er sich jetzt etwas billig anfühlt. "In A Radio Song" ist ein Lied, das ich immer sehr gemocht habe, das aber selten verlangt wird. Wenn ich es öfter spielen würde, wäre das vielleicht anders, daher ist es vielleicht auch meine eigene Schuld. Ähnlich sieht es bei "Starry Stairs" aus.

Ändert sich deine Meinung hinsichtlich einzelner Songs auch mit der Zeit? Du sagtest einmal, der Ansatz, den du bei einem bestimmten Album verfolgst, ginge dir nach Beendigung des Albums schon wieder auf die Nerven.

Will: Ja, in drei Jahren werde ich bestimmt auf nichts mehr Lust haben, das irgendwie mit "I Am Very Far" zu tun hat. So ist es immer bei mir. Momentan ist das aber zum Glück noch nicht der Fall.

Bei "I Am Very Far" hast du ja in vielen verschiedenen Studios und mit vielen verschiedenen Aufnahmetechniken gearbeitet. Kannst du mir darüber Näheres erzählen?

Will: Ja, wir wollten einfach bei jeder Aufnahme neue Herausforderungen und einen neuen Satz an Zutaten haben und nicht in irgendwelche Schemata hineinfallen.

Gab es Nachteile bei diesem Ansatz?

Will: Man kann es als Nachteil empfinden, dass die Songs beim Sound her schon teils sehr unterschiedlich klingen, was du hörst, wenn du "We Need A Myth" auf der einen und "White Shadow Waltz" auf der anderen Seite vergleichst. Ich weiß aber nicht, wie wichtig das ist. Die Songs auf jeder einzelnen Neil-Young-Platte sind zu jeweils ganz anderen Zeiten und in anderen Studios entstanden.

Homogenität wird auch manchmal überschätzt.

Will: Homogenität kann cool sein, aber manchmal ist es auch langweilig, wie sehr sich Songs auf manchen Alben ähneln, bei bestimmten Postpunkalben zum Beispiel ist das so.

Da kannst du das "Post-" auch weglassen.

Will: Klar, und bei manchen Punkalben. Das sind auch oft Alben, die ich sehr gern mag, aber ich steh trotzdem nicht so sehr auf den Sound. Ich mag es, wenn die Ansätze an einzelne Songs variieren.

Manche Leute meinen, dass dein Gesangsstil auf "Wake And Be Fine" sie an Hiphop erinnere.

Will: Lustig, das habe ich noch nicht gehört. Ich bin aber allerdings ein großer Fan von Hiphop und es vergeht kein Tag, an dem ich keinen Hiphop höre. Dieses Genre inspiriert mich sehr, aber es ist keine Tradition, aus der ich komme, daher wollte ich diesen Stil auch nicht explizit kanalisieren. Es mag komisch klingen, aber: So verschieden Okkervil River und beispielsweise Ghostface auch sein mögen, sie haben die Gemeinsamkeit, dass bei ihnen Sprache und der Klang von Wörtern im Zentrum stehen: Ebenfalls sehr wichtig: Das Atmen. Das hat mich sehr inspiriert und man kann es nicht nur bei Hiphop, sondern beispielsweise auch bei Bob Dylan erkennen.

Hiphopper gehören ja auch zu den größten Poeten der Musikwelt.

Will: Definitiv, insbesondere aktuell. Die Texte in der Popmusik und selbst im Indierock sind ja nicht mehr wirklich gut. Wir leben in einer Zeit, in der die Mehrheit kaum noch auf Texte achtet, was ja auch okay ist – aber pick dir zehn aktuelle Alben heraus, um die ein großes Trara gemacht wird, und in keinem von diesen wird viel auf die Texte geachtet worden sein. Bei einem Rapsong machen die Texte aber eben mindestens 50% aus. Wie aber Rapper wie Big L und der frühe Jay-Z Sounds und Wörter kombinieren können, ist jeder Art von Rockmusik weit voraus, mit Ausnahme vielleicht von Bob Dylan und so. Das interessiert aber kaum noch jemanden.

Bob Dylan meinte ja auch vor ein paar Jahren, dass in den letzten 30 Jahren kein einziges gutes Album mehr veröffentlicht worden wäre.

Will: Okay, ich würde alles, was Bob Dylan zu irgendeinem Thema sagt, sowieso immer mit Vorsicht genießen. Er ist ja noch in der Zeit von Andy Warhol aufgewachsen. Ich würde ihm da nicht zustimmen, aber es gibt kaum noch "große" Künstler. Der letzte war David Bowie, finde ich – jemand, der eine Figur der Popkultur ist und ein exzellentes Album nach dem anderen herausbringt, den die Kritik liebt und der sich lange hält. Es gibt noch Rapper wie Jay-Z, auf die das zutrifft, aber keine Rockmusiker.

Wieso ist das so?

Will: Ich weiß nicht, Rock hat in den 80ern gewissermaßen eine Sackgasse erreicht. Es gab einfach nicht mehr viel zu sagen und die heroische Energie der 60er war Ende der 70er bereits vollkommen vertrocknet. Es waren nur noch Aggression und dieses Dagegen-Gefühl übrig, woraus sich dann der Punk entwickelte. Sobald Rockmusik begann, sich der Kunst anzunähern, war das sowieso der Todeskuss. Das ist auch die Geschichte der westlichen Kunst: Es läuft immer darauf hinaus, wer am extremsten, am provokativsten, am neuesten, am minimalsten sein kann. Das endet nicht auf einer großen Blumenwiese, sondern in einer engen Ecke. Westliche Kunst ist ja immer nur auf Veränderungen aus – Veränderungen sind auch etwas Tolles, aber die größten Künstler aller Zeiten waren nicht unbedingt die Innovativsten.

Der Tod des Rock wäre nun ein guter Weg gewesen, das Interview abzuschließen, aber ich habe eine letzte Frage: Wir sprachen bereits über "Wake And Be Fine", wo bereits der Titel verrät, dass es um das Aufwachen aus einem Traum geht. Was war der letzte interessante Traum, an den du dich erinnerst?

Will: Vor ein paar Tagen habe ich geträumt, dass ich für Tommy James, von Tommy James And The Shondells, arbeiten würde. Er war Rentner und lebte auf einer riesigen Farm irgendwo im Westen. Ich war ein paar Jahre jünger, als ich jetzt bin, und arbeitete dort. Auf dieser Farm liefen überall riesige Raupen herum, die über einen Meter groß waren. Ich weiß gar nicht mehr, ob ich diese Raupen umbringen sollte oder sie ein Erzeugnis der Farm waren. Tommy James war auch wirklich nett, aber er saß nur herum und spielte ein X-Box-Spiel, das auf seiner Musikkarriere aufbaute. Was auf der Farm passierte, war ihm total egal, selbst die Riesenraupen.

Hast du darüber nachgedacht, was Freud wohl zu einem solchen Traum sagen würde?

Will: Ich habe vor einer Weile Tommy James' Biographie gelesen, das hat sicherlich damit zu tun. Vielleicht habe ich mich gefragt, was mit mir passiert, wenn ich alt bin. Ich möchte dann auf dem Land leben, aber bestimmt nicht auf einer raupeninfizierten Farm. Keine Ahnung! Ich habe in letzter Zeit auch viel darüber nachgedacht, was für beschissene Jobs ich als junger Mann hatte, vielleicht spielte auch das mit rein. Ich halte allerdings nicht allzu viel von Freud'scher Trauminterpretation, auch wenn man Freud schon ernstnehmen und sich nicht nur über ihn lustig machen sollte. Ich finde aber nicht, dass alles nur auf einen unterdrückten Sexualtrieb hinausläuft.

Riesenraupen hätten für Freud auch sicherlich männliche Genitalien repräsentiert.

Will: Absolut! Und wie! Auf eine gewisse, freakige und unangenehme Art und Weise erinnern mich Raupen auch an männliche Genitalien. Aber dass das das Wichtigste an diesem Traum war, glaube ich nicht. Mehr so eine Art Freud'scher Appetizer.

Dann hoffe ich, dass du im Alter niemals gegen Riesenraupen wirst kämpfen müssen und bedanke mich für das Interview!

Jan Martens

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