Interview

Friska Viljor


Einmal mit den Klischees aufräumen bitte - wer glaubt, dass unser Interview mit Friska Viljor, geführt vor ihrem Konzert im Hamburger Knust, in Schnapsbesäufnis und Rumschunkeln ausartet. Stattdessen haben die Schweden eine Menge Tiefgründiges zu erzählen - unter anderem auch, wie die Band zu ihrem Alkoholikerimage steht.

Ich möchte jetzt nicht mit einer total ausgelutschten Frage anfangen, aber: Ist es für euch etwas Besonderes, wieder in Hamburg zu sein?

Joakim: Wir haben wirklich als allererstes vorhin unsere alten Freunde in der Wohlwillstraße besucht. Heute war es etwas Besonderes. Die letzten Male, die wir in Hamburg waren, hatten wir kaum Zeit und haben sie in den Clubs getroffen, aber heute sind wir früh angekommen und konnten daher alle Oldtimer von "Back Records" treffen.

Als Hamburger freut es mich natürlich sehr, dass ihr meiner Heimatstadt mit "Wohlwill" einen Song gewidmet habt, aber ich habe mich gefragt, warum dieser Song erst jetzt gekommen ist. Die Geschehnisse, von denen der Song erzählt, sind ja schon ein paar Jahre her.

Daniel: In dieser Woche vor vier Jahren haben wir tatsächlich schon den ganzen Refrain geschrieben. Auch die Musik zu den Strophen, der allergrößte Teil des Liedes. Wir haben das Lied aber erst vor ein paar Monaten fertiggestellt. Diese Teile hatten wir auf Daniels Telefon gespeichert und der Song ist irgendwann einfach in Vergessenheit geraten, bis wir uns alles mögliche, was auf diesem Handy gespeichert war, mal wieder angehört haben und beschlossen haben, diesen Song fertig zu stellen.

Es ist schon lustig: Übersetzt haben "Wohlwill" - "guter Wille" - und "Friska Viljor" ja eine ziemlich ähnliche Bedeutung.

Daniel: Das haben wir auch schon bemerkt. Das ist sehr merkwürdig.

Aber um einmal von diesem Song auf das neue Album "For New Beginnings" allgemein zu kommen: Der Titel spricht ja so ziemlich für sich selber und spricht sich für Veränderungen aus. Auf einem Song wie "People Are Getting Old" finden sich dann jedoch Textzeilen wie "I think of the future, I can't see anything changing". Das wirkt ziemlich widersprüchlich.

Joakim: Ja, es ist auf gewisse Weise ein Widerspruch, aber ich denke nicht, dass es gut ist, sich ausschließlich auf eine Seite der Medaille zu konzentrieren. Es passieren schon gewisse Veränderungen, unter anderem auch aufgrund des Kindes von diesem Typen da (schaut herüber zu Daniel, der vor ein paar Monaten Vater geworden ist, Anm. des Autors), doch diese spezielle Zeile basiert nur auf meinem Leben und mir, der sieht, wie alle um ihn herum heiraten und Familien gründen.

Daniel: Es ist ja auch nur ein Song.

Joakim: Genau. Also, hier geht es darum, dass ich, was Beziehungen und Kinder angeht, noch nicht wirklich da bin, wo anscheinend jeder andere ist.

Es gibt in diesem Song auch die Aussage "I'm thirty or something, should have gotten further in life". Glaubst du, im Leben etwas verpasst zu haben?

Joakim: NOCH nicht, aber ich denke, dass ich wie alte Frauen so eine biologische Uhr habe, die in mir tickt, und dass ich deswegen das Gefühl habe, dass mir ziemlich bald etwas fehlen könnte. Ich fühle mich wie eine Frau (lacht).

Was würdet ihr beide denn gerne mit 40 erreicht haben?

Daniel: Acht bis zehn neue Alben, unter anderem.

Joakim: Und bei mir eine Familie. Wenn wir das alles erreichen könnten, wären wir beide wohl ziemlich glücklich.

Daniel: Dann kann ich hoffentlich auch ein netter Pate für deine Kinder sein.

Oh, Joakim, du bist auch der Pate von Daniels Kind?

Joakim: Ja. Das habe ich mir einfach geschnappt, ohne zu fragen (beide lachen).

Ich bin auch bereits Patenonkel meiner Nichte und werde es bald auch von ihrem Geschwisterchen werden. Wenn dann etwas passieren würde, hätte ich das Sorgerecht für zwei Kinder.

Daniel: Dann solltest du die Eltern wahrscheinlich nicht in einem Flugzeug fliegen lassen, wenn sie verreisen (alle lachen).

Nein, wahrscheinlich nicht. Das ist jetzt eine makabre Überleitung, aber, wo wir schon beim Thema "Tod" sind: Das ist ja auch ein recht markantes Thema auf "For New Beginnings", besonders bei "Daj Daj Daj" und "If I Die Now". Der Text auf zweiterem klingt fast so, als hätte ihn jemand auf seinem Sterbebett geschrieben. Was hat euch denn da inspiriert?

Joakim: In "Daj Daj Daj" haben wir vorrangig mit dem Titel gespielt. "Die" ist hier am ehesten ein "Hasswort", für alle schlimmen Menschen auf diesem Planeten, zu denen wir wohl alle gehören, denke ich. Die Menschheit ist eine ziemlich ekelhafte Brut. Hier sagt das "Die" also quasi aus, dass....jeder sterben soll (lacht).

Hast du denn diesen Text geschrieben, Joakim? Bei Daniel würde mich das wundern, weil man ja normalerweise erst einmal mit sich und der Welt im Reinen und nicht mehr so verbittert ist, wenn man ein Kind bekommen hat.

Daniel: Das sehe ich ehrlich gesagt anders. Ich hasse die Menschheit jetzt sogar noch mehr, da ich Angst vor der Welt habe, in die mein Sohn hereinwachsen wird. Jetzt ist er noch rein, aber das wird er in zehn Jahren nicht mehr sein, da Menschen böse sind. Aber ja, den Text hat Joakim geschrieben.

Joakim: "If I Die Now" ist eine ganz andere Geschichte. Der Text wurde mitten in einer Panikattacke geschrieben, bei der das Schreiben dann als eine Art Therapie fungiert hat. Ich weiß nicht, ob du jemals so eine Panikattacke hattest, aber ich denke dabei: "Ok, ich werde in zwei Minuten sterben." Daher habe ich Stift und Papier rausgeholt und ein paar Strophen auf Schwedisch aufgeschrieben, quasi als Testament, als Entschuldigungsbrief. Ich wollte soviel wie möglich hineinbekommen. Diese Panikattacken passieren meistens, wenn ich einen schlimmen Kater habe (Der Interviewer nimmt Joakim demonstrativ sein Bier weg.). Naja, aber nicht wirklich oft (lacht). Selten.

Folgende Frage haben wir ja schon halb geklärt, aber wenn man sich Themen wie Veränderung und den Tod vor Augen hält, wollte ich dich, Daniel, fragen, wieviel Einfluss die Geburt deines Kindes da hatte.

Daniel: Das weiß ich noch nicht. Das könnte ich dir vielleicht sagen, wenn du mich in drei, vier Jahren noch einmal fragst. Ich habe mich noch nicht wirklich daran gewöhnt - es fühlt sich etwas wie bei einem Gebrauchtwagen an, als ob bald seine richtigen Eltern kämen und das Kind wieder abholen.

Singst du für dein Kind? Und wenn ja, was?

Daniel: Ja, tu ich. Kinderlieder. Ein paar kleinere Lieder, die ich für ihn geschrieben habe. Lena (Lena Malmborg, Mutter von Daniels Kind und Support auf der aktuellen Friska-Viljor-Tour, Anm. des Autors) ist besser darin, für das Kind zu singen; sie hat einige Bilderbücher voll mit Liedern. Er wird aber kein Musiker werden, wenn er groß ist. Dann brauchen wir jemanden, der uns unterstützt, wenn wir alt sind!

Wird im Endeffekt nicht jeder Schwede irgendwie Musiker?

Daniel: Traurigerweise.

Wieso traurigerweise? Ich kann weder singen noch irgendein Instrument spielen und bereue das sehr.

Daniel: Ja, es ist schon eine tolle Sache, aber in Schweden ist man als Musiker so circa der Bodensatz der Gesellschaft. In Deutschland dagegen wird man schon fast wie ein Professor gesehen. Ich habe etwas an der Stockholmer Royal Academy Of Music studiert - wenn man sich für solche Musik interessiert, reden alle über Deutschland und Dänemark. In Schweden ist man der Bevölkerung eher ein Dorn im Auge, da alles vom Staat subventioniert wird.

Hier kommt's natürlich auch darauf an, was für eine Art von Musik man spielt - ob man Geigenvirtuose ist oder ein Teil einer schlechten Punkband ist. Und auch in Deutschland wird man gerne schon früh zur Musik erzogen, muss in der Grundschule Blockflöte spielen lernen und foltert so seine Eltern.

Daniel: In Schweden kann man auch als Kind schon Blockflöte lernen, wenn man möchte - aber was das Foltern angeht, sind Geige und Trompete ja sogar fast noch schlimmer. Da gibt es wohl so etwas wie eine Folterskala.

Aber um mal wieder zurück auf "For New Beginnings" zu kommen: Mit solch, wie schon besprochen, ernsten Themen muss es doch für die Presse schwer sein, euch immer noch in die "Betrunkene-schwedische-Partyband"-Schublade quetschen zu wollen!?

Joakim: Sie versuchen es aber immer noch. Überall will man mit uns über Alkohol reden und wir müssen dann immer antworten: "Nein, so ist es eigentlich gar nicht! Wir schreiben nicht nur Lieder, wenn wir betrunken sind!" Es steckt immer noch in vieler Leute Köpfe fest und ist ja auch ein dankbares Thema für die Medien und eine Geschichte, über die man sehr einfach schreiben kann. Jetzt müssen wir uns aus den Alkoholgerüchten herauskämpfen.

Ihr solltet vielleicht Anti-Bier-Lieder schreiben... Waren diese Klischees nervig?

Joakim: Es ist einfach so eine alte Geschichte. Sie ist vier Jahre alt...

Daniel: Es ist eigentlich nicht nervig, weil so ein schöner Teil unserer Vergangenheit thematisiert wird, der auch dafür verantwortlich ist, wo wir jetzt sind. Es nervt jedoch, wenn man Journalisten drei-, viermal erzählen muss, dass dieses Kapitel abgeschlossen ist und sie trotzdem am Ende gern ein Schnapslied hören würden. Dann würde man gerne irgendetwas einschlagen. Am liebsten ein Gesicht (lacht). Nein, aber das Thema ist einfach so alt und gehört unserer Ansicht nach zu unserem ersten Album, während wir jetzt ganz woanders stehen.

Damals wurden ja auch alle Songs des Albums in einer Nacht geschrieben, oder? Laufen die Albumaufnahmen bei euch immer noch so spontan ab?

Joakim: Nein, nein, das erste Album hat auch sechs Monate gedauert - ein Song in einer Nacht vielleicht. Aber heutzutage sind wir strukturierter.

Daniel: Jetzt wissen wir ja auch, dass wir eine Band sind, was wir damals noch nicht wussten, weswegen wir immer das Ziel haben können, ein neues Album zu schreiben. Jetzt, nach drei Alben, denken wir andauernd nur "Hey, wir müssen in den nächsten 20 Jahren noch 20 mehr schreiben! So bald wie möglich!" Wir sprechen schon immer über ein neues Album, bevor das, an dem wir arbeiten, überhaupt fertig ist.

Sprecht ihr denn nun auch schon über Album #4?

Joakim: Ja, das machen wir schon seit einem halben Jahr (lacht). Wir hätten gerne - auch wenn wir uns da noch nicht sicher sind -, dass es im Mai herauskommt.

Wie weit seid ihr denn schon damit?

Joakim: Wir haben noch gar nichts geschafft (lacht). Wir haben den Dezember und den Januar, um die Platte zu schreiben. Schauen 'mer mal.

Naja, da ich mit meinen Fragen sowieso am Ende bin, könnt ihr jetzt ja noch etwas produktiv sein, wenn ihr möchtet. Danke für das Interview!

Jan Martens

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