Rezension

TV On The Radio

Dear Science


Highlights: Halfway Home // Stork & Owl // Red Dress // DLZ
Genre: Indie // Experimental // Avantgarde
Sounds Like: Bloc Party // Yeasayer // Talking Heads // Saul Williams

VÖ: 19.09.2008

Als vor zwei Jahren "Return To Cookie Mountain" erschien, dachten womöglich nur eine Handvoll Leute daran, dass dieses Album einen außergewöhnlichen Siegeszug bei sämtlichen Kritikern der Musikpresse auslösen würde. Nicht nur bei uns als Album des Jahres ausgezeichnet, offenbarte sich hier zum ersten mal so richtig, zu was TV On The Radio wirklich im Stande sind: ein schier überberstendes Reservoir an Ideen und auch noch den Mut, diese umzusetzen. Für die New Yorker um Mastermind David Sitek und Hauptsänger Tunde Adepimpe kein Problem. Dieses war vielmehr, die Strippen aller Einfälle zu einem sinnigen Ganzen zusammenzufügen, was auf "Return To Cookie Mountain" nahezu perfekt gelang.

Andere Musiker scheißen sich wahrscheinlich in die Hosen, wenn es darum geht, nach so einem Werk einen Nachfolger aufzunehmen. Wie nimmt man so eine Messlatte am Besten? Die Antwort ist genauso leicht wie schwer umzusetzen: man schert sich einen Dreck um Erwartungen und zieht sein Ding durch. Und wenn dies einer Band gelingt, dann TV On The Radio. Kein Wunder also, dass auch "Dear Science" ein weiteres Klassealbum geworden ist und die Band dabei die meisten musikalischen Erwartungen, die man vielleicht im Vorfeld gehabt haben könnte, auch tatsächlich nicht einmal zu erfüllen braucht.

Wer annimmt, dass TV On The Radio weiterhin diese kühle, aber tief unter die Haut gehende Atmosphäre verbreiten würden, der ist schief gewickelt. "Dear Science" klingt in jeder Hinsicht wärmer, organischer und bietet trotz der Vielzahl an Soundschichten dennoch eine Eingängigkeit, die so in der bisherigen Bandgeschichte nicht zu hören war. Einzig dieser unglaubliche Opener "Halfway Home" hätte noch gut auf den Vorgänger gepasst. Ein zweiminütiges Beatgewitter mit dem typischen Synthieteppich läutet das Album ein, bevor der Überrefrain losbricht. Ein Traum, der zum Schluss durch eine aggressive Gitarrengrätsche brutal, aber eindrücklich ein jähes Ende findet.

Im weiteren Verlauf des Albums zeigen TV On The Radio dann aber vornehmlich stolz ihr neues Gewand, welches ihnen ganz hervorragend steht. "Crying" ist schon schöner Spätsommerpop, der im nachfolgenden "Dancing Choose" noch einmal gehörig upgepitcht wird. Tanzbarer waren sie nur bei "Wolf Like Me". Auch Bastardfunk scheint eine der neuen Säulen des Bandsounds zu sein. "Golden Age" groovt sich besonders gegen Ende um Tod und Teufel und "Red Dress" bringt mit seinen Bläsern nun wirklich jedes Blut in Wallung.

Auch wenn TV On The Radio das Tempo herausnehmen, geht zu keiner Zeit der Fluss des Albums verloren. Das wunderbar melodische "Stork & Owl" können wir wahrscheinlich bald an anderer Stelle als Titelmelodie einer neuen HBO-Serie hören, während sich "DLZ" in einem hypnotischen Strudel nach oben windet und sich schließlich selbst daraus herauszieht. Einzig "Family Tree" driftet ein wenig in klebrigen Kitsch ab und verleitet zum Skippen, was man aber angesichts der unbestreitbaren Größe von "Dear Science" besser lassen sollte. Wer mit vielen Erwartungen an die Platte herangeht, kann unter Umständen zuerst enttäuscht werden, bevor sich ein unheimlicher Grower-Effekt einstellt. Bleibt dieser aus, wird es immer noch das nächste Album von TV On The Radio geben, denn eins ist gewiss: so klingen wie hier wird es garantiert nicht.

Benjamin Köhler

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