Rezension

Troy Von Balthazar

How To Live On Nothing


Highlights: The Tigers // Happiness and Joy // Santiago
Genre: Indie Rock // Singer-Songwriter // Homerecording
Sounds Like: Guided By Voices // Pavement // Chokebore

VÖ: 08.10.2010

Unterbewertet. Der um retrospektive Aufwertung selten verlegene Musikjournalismus missbraucht wohl keine andere Charakterisierung derart konsequent. Wie oft muss man dieses sinnentleerte Adjektiv in Verbindung mit stilprägenden Bands wie Hüsker Dü und Guided By Voices erdulden? Überraschend ist, dass vielen wirklich unterbewerteten Bands, wie den amerikanischen Mittneunziger-Indierockern Chokebore, eine solche Ehre selten zuteil kommt. Das dachten sich wohl auch Tocotronic, als sie 2007 deren Sänger Troy von Balthazar mitsamt erster Soloplatte als Support für ihre “Kapitulation”-Tour auswählten. Sicher, der im frankophonen Raum immer noch renommierte Hawaiianer schaffte dadurch eher einen kleinen Achtungserfolg als ein flächendeckendes Comeback in Deutschland. Immerhin ermöglichte diese Anerkennung Balthazar eine europaweite Distribution, während die Amerikaner paradoxerweise auf überteuerte Importwege zurückgreifen müssen.

Nun veröffentlicht Balthazar sein zweites Soloalbum “How To Live On Nothing”. Natürlich ahnt der Mann, dass der große Durchbruch mittlerweile vergeben ist. Und hier liegt die große Stärke seines neuen Albums: “How To Live On Nothing” ist die Musik eines Menschen, der sich und der flüchtigen Musikwelt nichts mehr zu beweisen hat. “How To Live On Nothing” ist eine Liebeserklärung an den klassischen amerikanischen Indierock und die Homerecording-Szene der Neunziger. Ein Album, welches nahtlos an fragmentierte Meisterwerke wie “Bee Thousand” von Guided By Voices anknüpft. Eine clevere Ideensammlung, für die der heute zerfahrene und orientierungslose Bob Pollard wohl 200 eigene Songs aufopfern würde.

Doch Balthazar Resignation zu unterstellen, wäre unangebracht. Äußerst kämpferisch beginnt der Opener “CATT” mit Raubkatzengebrüll, entpuppt sich dann allerdings als schönster, verschlurfter Schlafzimmerpop. Auch “Very Famous” weiß um die eigene Hoffnungslosigkeit: You won’t be here when I’m famous / You won’t be here at all. Bloßes Lamentieren ist glücklicherweise nie Balthazars Ziel. Die Bruchstückhaftigkeit lässt die Songs elegant enden, bevor sie Gefahr laufen, in reinem Gejammer zu ersticken.

Obwohl die ersten Lieder mitsamt Albumhighlight “The Tigers” es vermuten lassen könnten, ist Troy von Balthazar mehr als ein verhuschter Leisetreter. Das an die frühere Singleversion von “Son Of Magnified” angelehnte, verzerrte “Happiness And Joy” wäre in einer gerechten Welt zum Soundtrack dieses Sommers geworden, der keiner war. Gerade in der durchdachten Albumdynamik zeigt sich die langjährige Erfahrung Troy von Balthazars: Laute und leise Songs wechseln sich ausgeglichen ab und verhindern, dass die Platte in einen monotonen Trott gerät. So folgt auf das lärmige “Santiago”, welches von Chokebores trostlosem Meisterwerk “Black Black” stammen könnte, das versöhnende Duett “Dots and Hearts”, ohne dass diese Kontrastierung wie ein untentschlossener Stilbruch wirkt.

“How To Live On Nothing” tröstet durch seinen unerschütterlichen Glauben an zeitloses Songwriting und versöhnt gerade in Zeiten, wo substanzlose Retortenprodukte wie Hurts die Musikwelt verzücken. Leider wird das Album, wie diese Musikrezension, ein einsamer und hoffnungsloser Kampf gegen Windmühlen bleiben.

Yves Weber

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