Rezension

Tori Amos

Abnormally Attracted To Sin


Highlights: Give // Welcome To England // Flavor // Ophelia
Genre: Pop
Sounds Like: Mylene Farmer // An Pierlé // Bee & Flower // Lou Rhodes

VÖ: 15.05.2009

Tori Amos‘ Wirken und Werk ist eine merkwürdige Erscheinung im weiten Musikkosmos: Seit zwanzig Jahren präsent, im Hintergrund immer irgendwie da, ob in eigener Mission unterwegs oder mit illustren Gästen musizierend, aber nie vollkommen in den Fokus der Musiklandschaft gerückt. Mittlerweile eine zweistellige Anzahl Alben hat die Amos veröffentlicht, dabei beachtliche Wandlungen vollzogen, als einzige Konstanten das Klavier und ihre markante, bisweilen anstrengende Stimme genutzt. „Abnormally Attracted To Sin“ erscheint nun dieser Tage und ist ein Konzeptalbum über Sünden und damit verbundene Lebenslagen. Passend dazu präsentiert sich die Dame auf hochglanzbearbeiteten Fotos im Booklet mal im Stile einer Gabriele Pauli zu Domina-Zeiten oder als unschuldig dreinblickendes Mädchen (was mit 45 Jahren doch etwas peinlich wirkt). Authentischer und ansehnlicher sind da die Bilder in verruchter Verführpose, die auch deutlich besser zur musikalischen Ausstrahlung der Person passen.

Große Schwächen hat „Abnormally Attracted To Sin“ eigentlich nicht – was bei einer Länge von 72 Minuten nicht unbedingt zu vermuten wäre –, bis auf den Umstand, dass es schwer fällt, sich für die siebzehn Songs zu begeistern. Bereits nach wenigen besungenen Sünden sinkt die Aufmerksamkeitskurve doch rapide und so befindet sich ein Großteil der Highlights bereits im ersten Albumdrittel. Der Opener „Give“, ein schwer schleppendes Stück, zeichnet sich durch gekonnt eingesetztes Schlagzeug und Stimmvariationen aus, die Amos sirenenhaft bestimmt und leidend zugleich wirken lassen. „Welcome To England“ bildet nur Augenblicke nach dem letzten schweren Takt des Vorgängers das genaue Gegenteil der bisherigen Gefühle. Der Song ist ein glattes, radiotaugliches Popstück. In „Flavors“ zeigt Amos, dass hohe Töne keine Probleme für sie darstellen und schafft eine schön anzuhörende Ballade. Allerdings scheint möglicherweise die Kombination Gesang plus Klavier und dezente Begleitinstrumente doch irgendwann ausgereizt zu sein, von den nächsten textlichen und musikalischen Kreationen der Amos bleibt nicht viel hängen.

Zwar versucht Tori viel, spielt mit Ansätzen und unterschiedlichen Klängen, was bis Anleihen bis hin zum Chanson-Orchester-Sound der zwanziger Jahre („That Guy“) erkennen lässt und schöpft zungenbrechende Textzeilen („Impeccable peccadillo“ zu Beginn des Titeltracks). Was aber dem Album ein wenig fehlt, ist die hereinbrechende Emotionalität früherer Werke, die zwar bisweilen polarisierte und auch schon mal für fast unhörbare Stimmeskapaden sorgte, aber im Grunde das ausmachte, weswegen Tori Amos eigentlich zwanzig Jahre ohne namhafte Konkurrenz blieb. Tori wütet nicht mehr, leidet auch nur noch halb so schön wie einst, sondern scheint nur noch vor sich her zu singen. Da aber trotzdem noch mehr als eine Handvoll Stücke auf dem Album ein sehr hohes Niveau vorzuweisen hat, wie die bereits genannten oder das vorletzte Stück „Ophelia“, ist noch nicht alles banal, was Tori Amos auf „Abnormally Attracted To Sin“ schafft, das Album ist vielmehr einfach zu lang.

Klaus Porst

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