Rezension

The Roots

How I Got Over


Highlights: How I Got Over // Hustla // Dear God 2.0 // Right On // Web 20/20
Genre: HipHop
Sounds Like: Erykah Badu // Ursula Rucker // Diplo // Common

VÖ: 02.07.2010

Als es hieß, „Rising Down“ werde das letzte Album der Roots sein, stellte sich, bei aller Begeisterung für das Kollektiv aus Philadelphia, eine gewisse Erleichterung ein. Denn im Grunde fragte man sich zuletzt schon, ob ihre Stücke wirklich noch gebraucht würden, The Roots noch immer relevant seien. Nun also zwei Jahre später dann doch Album Nummer neun.

Die Qualität der letzten Alben stand und steht außer Frage. Die Langzeitwirkung jedoch war subjektiv nicht gegeben. Mag sein, dass dieses Schicksal auch „How I Got Over“ ereilt, vorerst aber steht das Album Monolith-gleich im Hörraum. Voller innerer Ruhe und doch voller Bewusstsein über den Zustand der Welt bieten The Roots geführt von ?uestlove eine außergewöhnlich geschlossene Platte. Er, Schlagzeuger und Produzent Ahmir Thompson, liefert das Fundament für ein zunächst jazziges Rap-Album, das sich auf die klassischen Qualitäten der Gruppe als Live-Band verlässt. Thompsons Schlagzeugbeat umrahmt von Bassspiel und effizient gesetzten Melodie-Elementen – vornehmlich vom Keyboard – tragen das Album und würden auch als Instrumental-Tracks funktionieren. Darüber glänzen neben Black Thought zahlreiche Gastrapper. Darunter überzeugen besonders Peedi Peedi, STS und Dice Raw. Allein P.O.R.N klingt im ersten vollen Track „Walk Alone“ ein wenig zu sehr wie eine Imitation 50 Cents; selbst das ist hier (mehr als) erträglich.

Indiestan wird natürlich begeistert sein von der Mitwirkung bzw. Einbindung solch verschiedener Künstler wie Dirty Projectors, Joanna Newsom, Patty Crash und Monsters Of Folk. Ihre Mitwirkung mag wie Effekthascherei wirken, und tatsächlich hilft ihre prominente Betonung nicht wirklich weiter. Vielmehr zeigt die Emulation von Elementen eines Stücks der Monsters Of Folk in „Dear God 2.0“ und eines Stücks von Joanna Newsom in „Right On“ die Souveränität, mit der The Roots ihr musikalisches Handwerk verstehen und dieses zur Kunst erhoben haben. Sowohl das eine wie das andere Stück würden ohne die jeweiligen Samples und Elemente der Originale überzeugen. Wenn jedoch so noch mehr Aufmerksamkeit auf die möglicherweise beste oder zumindest einzig durchgängig qualitativ überzeugende HipHop-Gruppe der letzten zwanzig Jahre gelenkt wird, ist dieser Aufwand willkommen.

Aber die eigentliche Stärke des Albums „How I Got Over“ besteht in der musikalischen Kreativität. So werden auf der A-Seite – denn hier lassen sich ganz klassisch A- und B-Seite definieren – auf Basis der Jazz-Orientierung der Instrumentierung reflektierende Stücke voller Tiefe geschaffen. Hierfür mögen beispielhaft das Intro „A Peace Of Light“ oder „Dear God 2.0“ stehen. Die A-Seite endet im unter Umständen poppigsten Stück des Albums, dem Titelstück, das als wahre Hymne durchgehen kann. Dagegen legt die B-Seite eher einen drängenden, treibenden Charakter an den Tag. Dafür stehen sowohl „Right On“ wie auch das John-Legend-Feature „The Fire“ – das wiederum vielleicht zunächst nicht vollständig überzeugen mag, sich aber mit jedem Durchgang steigert. Besonders aber müssen hier die beiden abschließenden Tracks genannt werden. Dies sind zum einen das von Diplo mitproduzierte „Hustla“ und „Web 20/20“. Beim Bonustrack „Hustla“ verbinden sich Autotune, digitale Beats und die genialen Fähigkeiten von ?uestlove und Diplo zu einem Clubhit, und auch bei „Web 20/20“ wird das Schlagzeugspiel verstärkt von digitalen Beat-Effekten unterstützt. Es ließe sich fast sagen, ?uestlove zeige Diplo mit diesem Stück, wo der Hammer hängt. Auf diese Art kompromisslos zeigten sich The Roots bisher eher selten. Überhaupt ist „How I Got Over“ mehr als einfach ein weiteres Album der Roots. Vielmehr bestimmt es selbstbewusst den eigenen Standpunkt, reflektiert in den Texten das Hier und Jetzt und ist vor allem ein fantastisches HipHop-Album – das zukünftig als Meisterwerk des Genres gehandelt werden mag.

Oliver Bothe

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