Rezension

The Knife

Shaking The Habitual


Highlights: Full OF Fire // Wrap Your Arms Around Me
Genre: Ambient // Noise // Elektropop
Sounds Like: Einstürzende Neubauten // Fever Ray // Swans// Aphex Twin

VÖ: 05.04.2013

Weil es ein schönes Wortspiel ist und das Album schön, kurz und prägnant zusammen fasst, gibt es das Fazit schon einmal vorab: „Shaking The Habitual“ ist Tanzen in eingestürzten Neubauten.

Ein wahrer Höllenritt erwartet den ungewohnten Hörer auf dem neuen Werk von The Knife, für den auf einem Silberling gar kein Platz war (oder für Retrofans: Auf unter drei LPs). „Shaking The Habitual“ sind 100 Minuten harte Kost, die allerdings relativ harmlos anfangen. Der Opener „A Tooth For An Eye“ ist noch einigermaßen im Elektropop angesiedelt, doch bereits das folgende „Full Of Fire“ setzt Maßstäbe zwischen Genie und Wahnsinn: Knapp zehn Minuten Dauergefrickel, das jeden Progressive-Rock-Fan glücklich machen würde, wäre da nicht der Umstand, dass The Knife keine Rockband sind. Danach verabschiedet sich die Band komplett von dem, was nach Fever Ray und den letzten, schon Jahre zurückliegenden Alben in die Reihe gepasst hätte. Vorbei die Zeit der dreiminütigen Popsongs, her mit Field Recordings, Drone, Ambient und Krach.

„Wrap Your Arms Around Me“ etwa versprüht den wunderbar kaputten Charme einer Fabrikhalle oder eines Kellerstudios. „Without You My Life Would Be Boring“ schwankt zwischen schiefen Flötentönen und Gesangsspuren, die zu Animevertonungen passen könnten. Als besonderes Highlight beendet „Old Dreams Waiting To Be Realizied“ die erste Albumhälfte. Erkenntnis dabei: Wer hierbei auf irgendetwas wartet, wird lange warten, Godot wird nicht erscheinen, der Song ergeht sich in kratzenden Metallgeräuschen unterschiedlicher Lautstärke.

Zur Abwechslung beginnt die zweite Albumhälfte mal wieder mit einem richtigen Song. „Raging Lung“ verbindet hypnotisches Tribaldrumming mit dem Beschwörungsgesang, den wir von “Fever Ray“ her kennen (falls nicht: kennenlernen!) und war wohl nur deshalb nicht auf gleichnamigem Album, weil er mit knapp zehn Minuten dafür zu lang gewesen wäre. Hier allerdings hat Karin Dreijer Anderson allen Platz, den sie will – und den nimmt sie sich auch. Zu den offensichtlichen Anleihen bei den Einstürzenden Neubauten gehört „Networking“, das an die Dubversionen der Berliner anno 1980 erinnert oder die ebenfalls in zweistelliger Minutenlänge stattfindende Lärmorgie „Stay Out Of Here“. Was auf der ersten Hälfte „Old Dreams Waiting To Be Realized“, ist wenig später „Fracking Fluid Injection“: Ein Mix aus Störgeräuschen und imitiertem Walgesang. Nicht besonders spannend. Zum Abschluss gibt es mit „Ready To Lose“ noch einmal etwas Allgemeinverträgliches in viereinhalb Minuten.

„Shaking The Habitual“ ist im Grunde kein richtiges Album, selbst das Label „Musik“ mag für viele der Geräusche auf dem Werk wenig passend sein, vielmehr toben sich hier Künstler mit Hang zum Surrealismus aus. Als solches, mehr noch als abstrakte Kunst kann man versuchen, diesen Output zu betrachten. Wo für den einen bunte Tintenklekse oder komplett schwarze Flächen auf Leinwand im Museum Meisterwerke darstellen und der andere darin nur Wirres sieht, so mag "Shaking The Habitual" auf unterschiedliche Hörergruppen wirken. Krach oder Kunst, dazwischen passt kein Blatt Papier.

Klaus Porst

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Video zu "A Tooth For An Eye"
Video zu "Full Of Fire"

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