Rezension

The Knife

Tomorrow, In A Year


Highlights: Tumult // Colouring Of Pigeons // Seeds // The Height Of Summer
Genre: Darwin-Elektro-Oper
Sounds Like: The Knife // Fever Ray // Planningtorock // Mt. Sims

VÖ: 05.03.2010

Wenn man nicht ganz genau hin hört, dann könnte man doch glatt die ersten fünf Minuten von „Tomorrow, In A Year“ verpassen, so leise prickelt und knistert es im Intro. Es wird also schon früh klar: Hier sollten die Ohren gespitzt werden. Jeder Ton ist überlegt und komponiert. Leichte Kost ist das neue The-Knife-Album nicht. Pop-Musik ist hier fehl am Platz, und wer wummernde, tanzbare elektronische Beats, wie man sie von The Knife gewohnt ist, erwartet, der wird auch fast vergebens suchen. „Fast“ ist das Stichwort, denn es gibt sie dann doch noch: Im Track „Seeds“ zum Beispiel, der wunderbar klar, aber zugleich flirrend klingt, wie ein Schwarm tanzender Glühwürmchen.

Wer die Tracklist vor Augen hat, wird jedoch bemerken, dass „Seeds“ das dreizehnte von insgesamt sechzehn Liedern ist. So lange dauert die musikalische Evolution auf „Tomorrow, In A Year“, bis die urigen Strukturen überwunden wurden und Melodien erklingen, die mehr Vertrautheit versprechen. Zuvor muss der Hörer sich auf etwas einlassen, das nicht so einfach zu konsumieren ist wie die Musik, die er vielleicht sonst hört.

Aber hier handelt es sich ja auch schließlich um eine Oper. Wer glaubt, er könnte nichts mit Opern anfangen, oder wer gar noch nie eine gehört hat, der hat nun die Möglichkeit, sich von The Knife in den Bann ziehen zu lassen und zumindest an dieser Oper Gefallen zu finden. Wer weiß, vielleicht werden durch das Hören von „Tomorrow, In A Year“ ja noch Opern-Fans geboren.

„Tomorrow In A Year“ als „Nachfolger“ von „Silent Shout“ zu betiteln, wäre sicherlich verkehrt. Natürlich steckt auch in diesem Werk viel von The Knife, aber es spielen noch eine Menge weiterer Einflüsse eine Rolle bei dessen Entstehung. Zum einen handelt es sich um einen „Auftrag“, den die Geschwister Dreijer von der dänischen Performance-Gruppe "Hotel Pro Forma" angenommen haben. Hotel Pro Forma waren nämlich der Ansicht, dass niemand sonst zu ihrer Aufführung so gut die Musik beisteuern könnte wie The Knife. Karin Dreijer Andersson und Olof Dreijer nahmen sich außerdem Matt Sims (Mt. Sims) und Janine Rostron (Planningtorock) mit ins Boot und schrieben mit deren Hilfe die Musik zur Schöpfung des Lebens. Darwins Buch „Die Entstehung der Arten“ diente dabei als Grundlagenliteratur. Auch eigene Feldforschung wurde betrieben: In Island und am Amazonas wurde untersucht, welche Klänge die Natur in ihrer ursprünglichsten Reinheit zu bieten hat. Wenn sie es ganz genau genommen hätten, hätten sie ja auch noch die Galapagos-Inseln bereisen müssen, um sich ein Bild von Darwins Eindrücken, die er dort zwischen 1831 und 1836 gewinnen konnte, zu erhalten. Diese waren nämlich die Basis für Darwins 1859 erstmals veröffentlichte grundlegende Arbeit im Bereich der Evolutionstheorien.

Als Aufführung mit Theater, Gesang, Licht, Bühnenbild und Musik kann man sich ungefähr vorstellen, welche unglaublichen Weiten die Evolutionsgeschichte mit sich zieht. Die komplette Wirkung dieses Projektes alleine durch die Musik zu vermitteln, scheint da geradezu unmöglich. Dennoch ist „Tomorrow, In A Year“ als Album ein grandioses musikalisches Werk, das Hörer, die sich für diese Komposition Zeit nehmen, begeistern wird. Wer allerdings die Möglichkeit hat, der kompletten Aufführung beizuwohnen, der sollte dies unbedingt nutzen. Zu einem einzigen Deutschlandtermin, und zwar am 5. Juni in Münster, wird das Meisterwerk „Tomorrow, In A Year“ auf der Bühne zu sehen sein. Es wäre schade, das zu verpassen.

Marlena Julia Dorniak

Finden


Bye-Bye



Am 5. Januar 2021 haben wir éclat eingestellt. Mehr Infos hierzu gibt es auf unserer Startseite!