Rezension
The Killers
Day And Age
Highlights: Losing Touch // Spaceman // This Is Your Life // Good Night, Travel Well
Genre: P O P
Sounds Like: U2 // The Bravery // 1980-1989
VÖ: 21.11.2008
Hunter S. Thompson, Autor des literarisierten Drogen-Exzesses „Fear And Loathing In Las Vegas“ und Vorreiter des sogenannten Gonzo-Journalismus, war einer jener Menschen, die nicht einmal nach dem Tod aufhören wollten, sich von anderen abzuheben. Denn die sterblichen Überreste verbrennen und in eine Urne stopfen lassen, auf dass diese den Kaminsims der Angehörigen zieren möge, kann schließlich jeder – sie stattdessen, unterstützt von bunten Feuerwerken, aus einer Kanone schießen zu lassen, zeugt von Originalität. Eine indirekte Konsequenz dieser Bestattungsmethode: Jegliche Thesen, dass Thompson sich anno 2008 im Grab umdrehen würde, sind notwendigerweise Quatsch, weil alles, was von ihm übrig ist, in Körnchengröße in der Pampa verteilt ist. Trotzdem ein Grund, warum jene Aschebrösel momentan wie wild rotieren dürften, ist der, dass eines seiner weniger bekannten Zitate aktuell in einer Refrainzeile verwurschtet wurde, die zu einem Song gehört, den zu hassen anscheinend zum Volkssport der Musikliebhaber jenseits des Mainstreams geworden ist. Die Zeile, um die es geht: Are we human, or are we dancer?
Das Ironische an der Sache: Während Thompson mit seiner ursprünglichen Aussage, Amerika ziehe eine Nation von Tänzern auf, den vermeintlichen Verdummungsprozess seiner Landleute anprangerte, ist „Human“ von den Killers ein Song, der genau dort landen dürfte und wird, wo diese Dummheit nicht nur wuchert, sondern sich auch noch selber zelebriert: Ballermann, Après Ski, you name it. Dass die zwischen Rock und Pop pendelnde Waage bei dem Quartett aus Las Vegas schon immer deutlich in Richtung Eingängigkeit schwankte, ist kein Geheimnis, auf „Day And Age“ kippt das Messgerät nun jedoch endgültig zur einen Seite um. Wer hier aus diesem Grund eine Hasstirade auf die seelenlosen Sell Outs erwartet, muss aber enttäuscht werden: Schließlich ist auch den perfekten Popsong zu schreiben eine Kunst, die die Killers vollends perfektioniert zu haben scheinen.
Dies mag unter anderem an der Mitwirkung des Produzenten Stuart Price gelegen haben, der bereits mit Künstlern wie Madonna, Gwen Stefani oder Missy Elliott zusammen arbeitete und vielleicht ja die große 80er-Referenzenkiste angeschleppt haben mag, in der jetzt nach Herzenslust herumgewühlt wurde. Alle eindeutigen Referenzen oder auch nur subjektive Assoziationen, die sich aufdrängen, aufzuzählen, würde sicher ein lustiges Partyspiel abgeben: So wäre es nicht vollkommen abwegig, beim Refrain der zweiten Single des Albums „Spaceman“ an „Major Tom“ zu denken, der „Awumbawe“-Backgroundgesang in „This Is Your Life“ weist durchaus gewisse Ähnlichkeiten mit „The Lion Sleeps Tonight“ auf und „Joyride“ kann man trotz funkigen Grundbeats und Softporno-Saxofons lange nicht so weit vom gleichnamigen Roxette-Song abgrenzen, wie man es gerne würde. "All your hopes and dreams, all you need to know – Joyride!" Ein Lebensmotto made in Vegas.
A propos Pornosaxofon: Dieses ist nicht nur in „Joyride“ zu finden, sondern verfeinert auch den mit einem fulminanten Schweinesolo ausgestatteten Opener „Losing Touch“ und ergibt in „I Can’t Stay“ zusammen mit relaxten Hula-Rhythmen eine überraschend stimmige Mischung. Jene Musikhörer, die nicht mit einer ganz gehörigen Prise Pop-Affinität gesegnet (bestraft?) wurden, mögen angesichts dieser Galionsfigur der Schmalzmusik die Augen verdrehen und schon die Finger für’s „Day And Age“-Bashing auf dem Messageboard nach Wahl stretchen, für alle anderen ist auch das Saxofon ein Mosaikstein, das sich in einige perfekte Popsongs für den Glastonbury-Headlinerslot einfügt. Ebenso mag man sich auch darüber streiten, dass Brandon Flowers’ Gesang nun teilweise so weich und sanft klingt, dass selbst einem Dieter Bohlen beim DSDS-Casting die Freudentränen über’s Gesicht kullern würden. Aber wenn dabei Lieder wie „Spaceman“ herauskommen, denen man das Doppelplatin schon gleich in die Hülle imprägnieren müsste – wen stört’s?
Nichtsdestotrotz mag die Frage aufgeworfen werden, weswegen eine Band, die ihre Songs zumindest so schreibt, dass sie sich über ihren Riesenerfolg nicht wundern dürfen, unbedingt auf „Neon Tiger“ eine große Allegorie des Musikers vom Stapel lassen muss, der sich nicht vom Biz vereinnahmen lassen will. "They promised just to pet you, but don’t you let them get you!" heißt es da beispielsweise, oder: "I don’t wanna be kept, I don’t wanna be caged, I don’t wanna be damned!" Quasi Rilkes berühmtes “Panther”-Gedicht für die Generation MTV Made also. Dass die Killers aber tatsächlich anders können, als Hit um Hit in die Charts zu klatschen, beweist der Schlusstrack „Good Night, Travel Well“: Dunkel, bedrohlich, langsam, allgemein gelungen und damit wohl trotz aller zu „Hot Fuss“ genannten Referenzen das Joy-Division-Ähnlichste, was die Band jemals zustande bringen wird.
Solche Ausflüge täuschen jedoch nicht darüber hinweg, dass „Day And Age“ eine Platte für diejenigen bleibt, die auch ein Viertelstündchen Formatradio ertragen können und die manchmal nicht mehr als eine gute Melodie brauchen, um einen Song zu mögen. Alle anderen werden ein Album hassen, das in seiner Eingängigkeit das komplette Coldplay-Oeuvre wie eine Sammlung von Mars-Volta-B-Seiten wirken lässt. Der Rezensent positioniert sich klar auf der erstgenannten Seite. Aber wer „Day And Age“ schlussendlich lieben wird, braucht die Killers an sich nicht zu stören. Es werden so oder so wieder Millionen sein.
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