Rezension

The Avett Brothers
True Sadness
Highlights: No Hard Feelings // Smithsonian // True Sadness
Genre: Folkrock // Country // Bluegrass
Sounds Like: Mumford & Sons // Fleet Foxes // Frank Turner
VÖ: 24.06.2016

Am Anfang war der offene Brief: Im März dieses Jahres schreibt Seth Avett, stellvertretend für Bruder Scott Avett und die gemeinsame Band, einen solchen an die Fangemeinde, um „True Sadness“ anzukündigen. Wer die Band 2009 mit den wohlig-warmen Folk-Hymnen von „I And Love And You“ kennen und lieben gelernt hatte, wird um ein Stirnrunzeln beim Lesen kaum herumgekommen sein: eine „thematische und stilistische Flickendecke“ sei das Album, mit Einflüssen von (unter anderem) Pink Floyd, Walt Disney, Queen und Nine Inch Nails (sic!). Das versprach immerhin, interessant zu werden.
Wer nun den Opener „Ain't No Man“ hört, kann sich in der Tat mit einigem Recht fragen, ob das noch die gleiche Band ist, die Rick Rubin damals unter seine Fittiche nahm, um ihnen ein Album hin zu produzieren, das hemdsärmelige Authentizität versprach und sie mustergültig einzulösen wusste. 2016 legen Handclaps aus der Konserve und ein knurriger Bass das Fundament für einen aufgekratzten Popsong, der erst nach einiger Zeit durchscheinen lässt, dass The Avett Brothers ihr Country- und Bluegrass-Erbe nicht zwischen Fernsehauftritten, Grammy-Awards und Supportgigs für die Rolling Stones vergessen haben. Kein schlechter Song, aber nicht gerade das, was man erwartet hätte.
Gleiches lässt sich über „Satan Pulls The Strings“ sagen, das wie der Versuch klingt, eine modern produzierte Fassung des alten „Devil Went Down To Georgia“ zu schaffen. Funktioniert auch gar nicht mal schlecht, sobald man sich daran gewöhnt hat, die Avett-Brüder über einen funkigen Electro-Beat singen zu hören, während sich im Hintergrund Synthesizereffekte neben Banjo und Fiddle tummeln. Nicht immer haut der Flirt mit der Elektronik so reibungslos hin: „You Are Mine“ etwa klingt stellenweise, als habe Robin Schulz eine B-Seite samt Autotune und Techno-Filter geremixt. Dann schon lieber „May It Last“, das in seiner erhabenen Atmosphäre tatsächlich Pink Floyd durchscheinen lässt und irgendwie auch noch Sandalenfilm-Musik und Queen'sche Dramatik gelungen unterbringt.
Für alle, die den Mut zum Experiment trotz einiger ordentlicher Ergebnisse so gar nicht mitgehen wollen, bietet „True Sadness“ aber glücklicherweise auch massig Material aus der Kernkompetenz des Familienunternehmens: Akustischen Folkrock mit eingestreuten Country- und Bluegrass-Zitaten und Texten, die in ihrer Lebensnähe und plakativen Aufrichtigkeit oft dicht am Klischee schrammen, aber doch immer die Kurve in Richtung Charme kriegen. Es waren diese Songs, die „I And Love And You“ so unwiderstehlich machten und ja, es gibt sie auch auf „True Sadness“ wieder: Etwa „Smithsonian“, das mit herrlichen Gesangsharmonien, jaulender Geige und Lyrics betört, die gleichermaßen naiv und clever ausfallen. Oder das nachdenkliche „No Hard Feelings“, das eine emotionale Ehrlichkeit versprüht, mit der Seth und Scott Avett notfalls auch noch als Traumatherapeuten Karriere machen könnten. So sind es wieder vor allem die ruhigen, intimen Momente, in denen „True Sadness“ vom guten Album zum großen Album wird. Bei allen Experimenten: Am Allernötigsten braucht es eine Band wie The Avett Brothers eben, um eine zurückhaltende Romanze wie „I Wish I Was“ vollkommen unpeinlich mit den Worten „I love you. I'm sorry.“ zu beenden.
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