Rezension

The Airborne Toxic Event

The Airborne Toxic Event


Highlights: Gasoline // Happiness Is Overrated // Sometime Around Midnight
Genre: Post-Punk // Indie
Sounds Like: The Libertines // Franz Ferdinand // The Gaslight Anthem // Interpol // Maximo Park

VÖ: 10.07.2009

Schon eine minimale Auffassungsgabe reicht aus, um zu ahnen, dass hier etwas anders läuft. Dass hinter diesen Lyrics doch jemand sitzen muss, dessen Hirn schräge gedankliche Kurven schlagen kann. Nein, zu wissen, dass hier ein Literat die Feder führt, dafür braucht es nicht Google. Auch wenn es einem unweigerlich bestätigt: The Airborne Toxic Event, so heißt auch das zweite Kapitel des Romans "White Noise", 1985 geschrieben von keinem geringerem als Don Delillo, entscheidender Wegbereiter der nordamerikanischen Postmoderne. Kein Literaturfachmann? Nun, an dieser Stelle reicht es aus, zu wissen: das ist keine leichte Kost.

Mikel Jollett heißt er, der schlaue Kopf dieser Band, dessen kühne Songtexte sich auch als Kurzgeschichten lesen lassen. Und die gehen unter die Haut. "Sometime Around Midnight" zum Beispiel, das deinen Abend mit Freunden genau dann auf eine Strecke der Tristesse lenkt, als die Ex plötzlich im Lieblingsclub auftaucht: Gefühle schießen wie Lavafontänen zurück an die Oberfläche, denn du bist noch lange nicht über sie hinweg. Und dann – etliche Biere später – klingelst du sturzbetrunken an ihrer Haustür, wohl wissend, dass dich die folgende Unterhaltung zerreißen wird. Nicht nur hier weiß Jollett, wie man das Herz am besten trifft, nicht umsonst ist er nebenberuflich Romanautor. Untermalt von geduldiger Dynamik, steigern sich The Airborne Toxic Event hier behaglich zu einem dramatischen Streicherfinale und finden sich eingereiht in der Schlange für den Song des Jahres wieder – ohne überhaupt einen Refrain im Gepäck zu haben. Doch auch weniger opulent funktioniert dieser Fünfer aus Los Angeles mit seinen cleanen Akkorden in gänzlich unaufgeregtem Indierock.

Jolletts Art zu texten ist da fast schon zu eindringlich, kann man doch gar nicht anders, als diesem Mann zuzuhören. Ob er nun den begriffsstutzigen Verlassenen gibt ("Does This Mean Your Moving On?") oder versucht, mit der Quarterlife-Crisis fertig zu werden ("Papillon"), der Mann schafft Wortflüsse wie mancher Kollege aus dem Rap. Die Band ist da fast nur gut gemeintes Begleitwerk. Dafür schlägt diese dann hin und wieder zurück. Wie mit der flotten Wundertüte "Gasoline" – und sitzt dafür aufgrund schwerwiegenden Hitverdachts gleich neben Mando Diao in permanenter Untersuchungshaft. Gut, sie können auch anders, vom augenzwinkernden Blues zum beschwipsten Discobeat ("Happiness Is Overrated") oder mit schulterklopfenden Melodien und einlullenden Harmonien ("Something New").

Warum angesichts der Neuveröffentlichung über Island Records (die Platte erschien bereits letztes Jahr in den USA) der sündhaft verhaltene Mix dieser Platte nicht ein wenig lauter gedreht wurde, ist fraglich. Der nervt nämlich ordentlich. Und passt so gar nicht zu dieser ausdrucksstarken, eloquenten und auch ein wenig schrägen Band. Wer es übrigens nicht kennt: "White Noise" handelt im Kern der Sache vom Eingeständnis der eigenen Sterblichkeit. Auch so ein Gefühl, dass über dieser Platte schwebt. Und sei es nur dadurch bedingt, dass die Dame des Herzens einem den Laufpass gegeben hat. Sieh an: schwere Kost lässt sich gut verdauen, wird sie nur ohne großen Terz verabreicht.

Gordon Barnard

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