Rezension
St. Vincent
Strange Mercy
Highlights: Chloe In The Afternoon // Strange Mercy // Dilettante // Cruel // Northern Lights
Genre: Indie-Rock // Experimental // Laptop-Folk
Sounds Like: Björk // PJ Harvey // Grizzly Bear // Beck
VÖ: 09.09.2011
Doch doch, das ist schon richtig. Das hier ist noch die Annie Clark, die uns auf dem Cover von „Marry Me“ auffordernd süß aus ihren großen, tiefen und geheimnisvollen Augen anlugte und die uns auf „Actor“ mit zuckersüßen Melodien und mehrschichtigen Arrangements verwöhnte. Die gleiche Annie Clark, die mit Grizzly Bear auf Tour war, mit Justin Vernon (Bon Iver) einen Soundtrack erschuf und neben ihrem Engagement bei The Polyphonic Spree auch in Sufjan Stevens' Tourband spielte.
Auf „Strange Mercy“, dem dritten Album ihres Soloprojektes St. Vincent, mag man fast nicht glauben, was man hört. Was ist denn da geschehen? Annie Clark klingt wie Björk, singt zu Beginn von „Chloe In The Afternoon“ über einen groovenden Beat, der nur von dreckigen Riffs zerschossen wird. War „Actor“ eine entfernte Schönheit aus mehrschichtigen Arrangements, wirkt „Strange Mercy“ viel direkter, ungeschminkter. Zwischen der Künstlerin, ihren Emotionen und uns befinden sich nur noch ein Beat und eine Gitarre – angereichert mit der nötigen Ladung Laptop-Sound-Verwirrungen. Die Songs handeln vom Wunsch nach der Befreiung von Schmerzen und um diese Emotionen zu transportieren, müssen nicht nur die Lyrics besonders aufrichtig und ehrlich sein, sondern auch der Sound.
Diese Mischung, das Neue, das aus dem Wunsch nach einer Direktheit in der eigenen Kunst entstanden ist, ist gleichzeitig facettenreich wie eh und je. Der angesprochene Opener ist ein Kracher-Track, der auch Björks „Volta“ gut zu Gesicht gestanden hätte. „Cruel“ und „Surgeon“ hingegen warten in den Refrains mit Hooklines auf, die trotz aller Diffusität fast zum Tanzen einladen. Der Titeltrack ist eine unfassbar ergreifende Ballade, die aus den gleichen Mitteln gestrickt ist wie „Dilettante“, das in seiner relativen Eingängigkeit fast Hymnencharakter aufweist.
Dieser künstlerische nächste Evolutionsschritt der Annie Clark war absolut richtig, wenn auch nicht einmal zwingend notwendig. Sie schafft es, indem sie sich etwas traut, sich mehr öffnet und ihr Inneres nach außen kehrt, eine Platte zu kredenzen, die alles andere als gefühlsduselig ist, sondern intensiv, knallhart und zuckersüß, reizend und abstoßend zugleich. Zwischen ehrlicher und großartiger Gitarrenarbeit mischt sich noch die eine oder andere Laptopfrickelei in die beatgetriebenen Songs. Ein bisschen PJ Harvey, ein klein wenig Peaches, eine Prise Björk-Attitüde und eine ganze Menge Annie Clark machen „Strange Mercy“ zu einer der großen Platten in 2011.
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