Rezension

Spoon

Gimme Fiction


Highlights: The Beast And Dragon, Adored // Sister Jack // I Summon You
Genre: Indie Rock
Sounds Like: Wilco // Pavement // The Beatles

VÖ: 09.05.2005

Wenn man den Titel des neuen Spoon- Werkes einmal sinngemäß ins Deutsche übersetzt, stehen da in etwa folgende zwei Sätze: "Gib mir etwas zu lesen. Einen Roman am Besten." Echt cool, Mr. Spoon, das kommt wirklich sehr intellektuell. Nur eine Frage: Wer würde nicht lieber aufregende Musik hören, als irgendwelche 08/15- Bücher zu lesen? Da liegt das Gute für Britt Daniel, Sänger und Songschreiber (nennt ihn Mastermind) der Band, schon so nahe, lebt er doch in Texas, wo bekanntlich auch die großartigen ...And You Will Know Us By The Trail Of Dead herkommen, mit denen man sich bei Spoon neben Bundesstaat übrigens auch den Produzenten teilt. Und trotzdem will er was zum Lesen. Einen Roman am Besten. Wieso?

Zurück zur Ernsthaftigkeit: Schenkt man dem Booklet Glauben, wäre da zum Beispiel seine große Liebe zu Kindermärchen. Denn in jenem ist Rotkäppchen abgebildet, in der linken Hand eine Wolfsmaske, mit dem rechten Arm den Korb für die Großmutter tragend. Ein Finger blutet. Was ist passiert? Aufschluss darüber geben die Texte nicht. Doch Rotkäppchen hat man so oder so genau wie die anfängliche Frage nach dem Albumtitel erstmal vergessen, wenn die CD begonnen hat zu rotieren. Im Eröffnungsstück, "The Beast And Dragon, Adored" geht es um alles, was noch kommt, oder um nichts. Um Rock´n´Roll also. Anspielungen auf spätere Songs werden so geschickt in die Geschichte des verlassenen Jungen eingebaut, dass man nur noch zufrieden grinsen kann und auch der sagenhafte Refrain gibt Anlass, die Mundwinkel nach oben zu ziehen. Von Zeit zu Zeit hört man grauenhafte und zugleich wunderschöne Soli, zu denen Daniel von den Fiery Furnaces ermutigt wurde, wie er in Interviews erzählt, da er nun wisse, dass jeder Soli spielen könne. Jeff Tweedy (nennt ihn Mastermind) von Wilco kann´s demnach auch. Super!

Nach einem abrupten Ende folgt auf Position Zwei ein netter kleiner Hit namens " The Two Sides Of Monsieur Valentine", dessen Sound durch Streicher um ein schiefes, aber gutes Gefühl erweitert wird. Das gefällt und klingt nach Sommer. "I Turn My Camera On" klingt nach Prince und hat außer einem eindrucksvollen Gesang nicht viel zu bieten. Hier vermisst man einfach diese ganz besonderen Sixties- Melodien, die Kracher wie "Sister Jack" unvergesslich machen. Das beschwingt wie bisher nichts anderes im Jahre 2005 und vielleicht schöner als das Meiste noch zu veröffentlichende daherkommt. Zeilen ála "I was in this drop D metal band we called Requiem" trägt Daniel in einer Weise vor, die es schon lange nicht mehr gab. Wer hier nicht an die Beatles denkt, hat sie wahrscheinlich noch nicht gehört. Oder nur "Yellow Submarine"...

In der Mitte des Albums ist die Konzentration der Großartigkeit am Höchsten, denn auch "I Summon You" ist wahrlich gut gelungen und der sehnsüchtige Text ergänzt sich so dermaßen mit den verzagten Piano- Sounds und dem später einsetztenden Tambourin, dass die Gänsehaut, oder wenigstens ein wohliges Gefühl nicht mehr weit weg sein kann. Danach geht es (zum Glück?) wieder etwas nüchterner zu, auch beim Rezesenten. Das vierte Fünftel der Platte verblasst nämlich geringfügig gegenüber vorigem und folgendem. Erwähnt werden sollten trotzdem die Krautrock- Effekte bei "Was It You?", die abermals auch Wilco auf "A Ghost Is Born" spielten. Hier ist guter Rat billig: Kopfhörer aufziehen und genießen. Am Ende wird die Platte nochmal so richtig eingängig, denn mit "Merchants Of Soul" ist Spoon ein astreiner Popsong gelungen und mit "They Never Got You" fast der perfekte Indiesong. Im Hintergrund gewittert es und der Rhythmus zuckelt, denn Bass und Schlagzeug hüpfen förmlich auf die Wette nach vorne, die Akkorde laufen rauf und wieder runter, Daniel geht mit. Was fehlt, ist diese alles umarmende Hookline, der Song ist also doch nicht perfekt. Was solls? Perfekt ist sowieso doof! Stimmt doch, finden wir doch alle! Perfekt ist langweilig. So!

Und doch: Es lässt sich in keiner der 43 Minuten eine Antwort auf die eingehende Frage finden, warum genau man sich jetzt im Hause Spoon neue Literatur wünscht. die Texte sind eine Fabelwelt, in die man wie ein gutes Buch eintauchen kann. Okay, ich habe mich verraten, auch ich habe ab und zu Lust auf etwas zum Lesen, Romane zum Beispiel. Hiermit sei der Wunsch verziehen. Und wenn es denn hilft, dass Britt Daniel weiterhin so schöne Songs schreibt und er mit Spoon weiterhin so schöne Platten aufnimmt, bleibt mir nur noch eins zu sagen: Give Him Fiction!

Mario Kißler

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