Rezension

Someone Still Loves You Boris Yeltsin

The High Country


Highlights: Line On You // Step Brother City // Full Possession Of All Her Powers // Madeline
Genre: Indiepop
Sounds Like: The Shins // Voxtrot // Belle And Sebastian // Ra Ra Riot // Pavement // Superchunk

VÖ: 05.06.2015

In der letzten Zeit gab es einige Umbrüche bei den Indie-Veteranen von Someone Still Loves You Boris Yeltsin. Nach dem Release des letzten Studioalbums “Fly By Wire” machte sich mit John Cardwell einer der Gründungsväter der Band aus Springfield, Missouri, aus dem Staub. In etwa zur gleichen Zeit kam jedoch ein anderes Gründungsmitglied, Tom Hembree, nach einigen Jahren der Abstinenz zurück – mit dem überaus noblen Vorsatz “to stir things up in the best way possible.” Okay, John raus, Tom zurück – soundtechnisch bleibt aber glücklicherweise alles mehr oder weniger beim Alten.

Im Studio von Death Cab For Cuties Chris Walla nahm die Band einige Stücke auf, die in unter einer halben Stunde die ganze Palette von Someone Still Loves You Boris Yeltsin verdeutlichen und sich dabei doch erstaunlich frisch anhören. Der Opener „Line On You“ klingt an die Indiepop-Perlen der späten 1990er Jahre an und macht das, was ein Opener tun sollte: Lust auf mehr. „Step Brother City“ zeigt, dass trotz all der Kompaktheit nicht auf ausgefeilte Lyrics verzichtet werden muss. Kein Song des Albums überschreitet die Drei-Minuten-Marke und doch schafft es Philip Dickey, sich im power-poppigen zweiten Song des Albums nicht nur mit einer einzelnen Schwärmerei zu beschäftigen, sondern mit der Liebe an sich und allem, was Menschen typischerweise zur Verzweiflung bringt: „All the kids' songs and poems are all about you / and all the bad ones, too [...] God only knows how anyone could live / in a city where you don't live.“

Lässt das erste Drittel des Albums noch ganz deutlich an Indie-Klassiker à la Pavement oder Belle And Sebastian denken, fällt zur Albummitte hin ein Song aus dem bisher aufgebauten Soundraster heraus und dadurch besonders auf. „Madeline“ sorgt für zwei Minuten Ruhe in all dem Gitarrengeballer. Gedämpft flehen die Lo-Fi-Lyrics „I'm down at the police station / Please find me, Madeline“. Die sanft gezupfte Gitarre hält sich fast ebensosehr im Hintergrund wie die Drums, die kaum wahrnehmbar aus den übrigen Songs des Albums hinüberzudringen scheinen. Man könnte hier natürlich das Label Elliott Smith draufkleben. Man kann sich aber auch einfach über diese Abwechslung im sonst eher konsistenten „The High Country“ freuen.

Überhaupt fällt spätestens hier auf: das Album klingt ein wenig wie ein lange vergessenes Mixtape, das auf dem Weg zum Schrottplatz aus dem Handschuhfach des ersten eigenen Autos purzelt, „Indie Summer 2004“ oder so. Jeder einzelne Song lässt seinen Paten erahnen. Das geht vom eben erwähnten Elliott Smith über Superchunk („Step Brother City“) bis hin zu The Thermals („Trevor Forever“). Und doch muss man anerkennend sagen: das alles hört sich auch unverkennbar nach Someone Still Loves You Boris Yeltsin an. Seit über einem Jahrzehnt liefert diese Band beständig tolle Pop-Songs ab und auch wenn in Missouri das Rad nicht neu erfunden wurde: sie schaffen es durch ihren warmen Sound immer wieder – auch nach dem Weggang eines zentralen Bandmitglieds –, dass sich alles so anhört, als wäre die Welt ganz schön okay. Und das ist ja wohl nicht gerade das Schlechteste.

Christoph Herzog

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