Scout Niblett ließ sich noch nie einfach einem Genre zuordnen. Ihre Art zu singen lässt einen an Folk und Blues denken, wegen ihres trockenen Spiels auf der E-Gitarre und der scheppernden Drums würde man sie dann aber stilistisch doch eher im Grunge verorten. Auch auf ihrem fünften Album, das wieder Steve Albini produziert hat, schafft es die Engländerin meisterhaft, mit einfachsten Mitteln die gegensätzlichsten Einflüsse zu etwas ganz Eigenem zu verbinden.

„Just Do It“ eröffnet das Album mit einer lärmenden E-Gitarre, hält sich darauf aber selbstbeherrscht zurück und lässt einen gespannt auf den großen Ausbruch warten. Man spürt, dass jeden Moment die angestauten Emotionen hervorbrechen werden. Die Spannung, die allein schon durch die dynamische Gestaltung des Albums erzeugt wird, ist wirklich außerordentlich. Wie in einem Hitchcock-Film liegt konstant dieses Gefühl in der Luft, dass gleich etwas passieren wird, und so sind auch auf „The Calcination Of Scout Niblett“ die Momente am spannendsten, in denen fast nichts geschieht. Die Pausen sind oft quälend lang, die Songs verlieren zunehmend ihr Tempo, befinden sich kurz vor dem Stillstand, worauf sich dann mit der lärmenden Gitarre und dem polternden Schlagzeug die Spannung auf einen Schlag entlädt.

Es mag einem zunächst vielleicht nicht auffallen, aber „The Calcination Of Scout Niblett“ ist ein erstaunlich melodiöses Album geworden. Da hier die Melodien nicht so sorgfältig in ein Harmoniegewand gekleidet werden, wie es im Singer-Songwriter-Genre meist üblich ist, braucht es seine Zeit, bis einzelne Melodiefetzen im Ohr hängen bleiben. Statt einer lieblichen Streicherbegleitung bieten nur die verzerrten Gitarrenakkorde Halt. Die reduzierten Ausdrucksmöglichkeiten, die sich Scout Niblett selbst auferlegt, erlauben es ihr aber letztlich, die Songs so fokussiert anzulegen, dass sie prägnanter klingen, als wenn ein reichhaltiges Instrumentarium vom Wesentlichen ablenken würde.

„The Calcination Of Scout Niblett“ ist geprägt von Umbrüchen und gewaltsamen Veränderungen. Scout Niblett gebraucht hierfür einen Begriff, der deplaziert wirken mag, aber die Essenz dieses Album treffend ausdrückt: Kalzinierung ist ein Terminus aus der Chemie, der die Erhitzung eines Materials beschreibt, die das Ziel hat, in ihm eine Veränderung hervorzurufen. Scout Niblett hat ein Album geschaffen, das nicht nur Umwälzungen in ihrem Seelenleben eindrücklich illustriert, sondern auch den Hörer selbst nachhaltig verändert. Und das schaffen nur wirklich gute Alben.

Kilian Braungart

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