Rezension
R.E.M.
Collapse Into Now
Highlights: Discoverer // All The Best // ÜBerlin // Oh My Heart // Every Day Is Yours To Win // Walk It Back // Alligator_Aviator_Autopitlot_Antimatter // Blue
Genre: Poprock
Sounds Like: U2 // Modest Mouse // Pearl Jam // Pixies
VÖ: 04.03.2011
Stell dir vor, du bist in einer sehr, sehr langen Beziehung. Die großen Höhepunkte liegen schon lange zurück und in den letzten Jahren konntest du nur noch vereinzelt das Feuer spüren, das dich einst angezogen hat. Und als du dich schon damit abgefunden hast, dass es nie wieder so schön wird wie früher, passiert es einfach.
R.E.M. haben es uns in den letzten Jahren wirklich nicht leicht gemacht. „Around The Sun“ klang wie der Anfang vom Ende, „Accelerate“ machte da schon wieder etwas mehr Freude und war zumindest lebendig, aber auch nicht viel mehr als das. Das einzig gute war: Egal wie mittelmäßig die Alben inzwischen waren, man konnte sich immer darauf verlassen, das zumindest zwei oder drei Songs in der alten Liga spielen. Das war nicht gerade viel, aber besser als nichts. Und jetzt kommt „Collapse Into Now“ und du fragst dich, wie du jemals an dieser großartigen Band zweifeln konntest.
Vom rockigen Opener „Discoverer“ bis hin zu dem großartigen Abschluss „Blue“, mit dem wir uns später noch beschäftigen werden, hat jeder einzelne Song Hand und Fuß und ist mindestens gut. Dabei muss man sich immer bewusst sein, das R.E.M. zu eigentlich keinem Zeitpunkt ihrer Karriere eine Band waren, die sich besonders durch Innovation ausgezeichnet hat. Viel eher war es doch das Schwelgen im Altbekannten auf eine gefühlvolle, mitreißende und ihresgleichen suchende Art. Da verwundert es nicht, dass viele der neuen Songs mehr oder weniger stark an vorangegangene Stücke erinnern. Wer das nicht mag, kann ja gerne zur neuen Radiohead greifen. Aber nochmal zurück zum Anfang. „Discoverer“ kommt auch deswegen so gut aus den Startlöchern, weil man sich den perfekten Gast dazu geholt hat. Patti Smith, die sich mit „E-Bow the letter“ bereits vor Jahren in die Herzen der R.E.M.-Fans gesungen hat, hält sich dezent im Hintergrund und sorgt so für das gewisse Etwas. „All The Best“ setzt da direkt nahtlos an und packt noch eine Schippe Rock obendrauf, bevor es mit „ÜBerlin“ und „Oh My Heart“ dann qualitativ richtig in die Vollen geht. Beide Songs erinnern ein wenig an „Drive“, sind aber doch sehr unterschiedlich ausgelegt. Während sich „ÜBerlin“ nachdenklich der Melancholie und Tristesse hingibt, steht bei „Oh My Heart“ der Pathosregler voll auf Anschlag. Der etwas einseitige Refrain ist sicherlich nicht Jedermanns Sache, aber sind wir mal ehrlich: Wenn Michael Stipe so viel Gefühl in einen Song packt und alles überstrahlt, ist es da wirklich so wichtig, wie abwechslungsreich der Text ist? Emotional entspannter kommt „It Happened Today“ daher, welches mit Joel Gibb und Eddie Vedder zwei Künstler dabei hat, die sich unaufdringlich und doch sehr gelungen einbringen. „Mine Smell Like Honey“ zieht das Tempo erneut an, bevor man mit „Walk It Back“ bei dem Song ankommt, für den man sich das Album auch gekauft hätte, wenn alles andere Müll gewesen wäre. Der Song ist wohl der eigenständigste auf „Collapse Into Now“ und mit ziemlicher Sicherheit der Beste seit längerer Zeit. In Michael Stipes Stimme und dem schon fast zärtlichen Arrangement findet sich unglaublich viel Hoffnung und eine zerbrechliche Schönheit. Im Anschluss daran darf nochmal richtig straight gerockt werden. Lenny Kaye, der ehemalige Saitenzupfer von Patti Smith, verschafft „Alligator_Aviator_Autopilot_Antimatter“ ein für R.E.M. sehr ungewöhnliches Stilmittel. Ein Gitarrensolo, das dir die Luftgitarre quasi aufzwingt, ist an dieser Stelle unerwartet, aber keineswegs deplatziert. Als Glücksgriff erweisen sich auch Peaches' Passagen, die als Gegenpol zu Stipe für extrem viel Schwung sorgen. Nach zwei weiteren guten aber nicht herausragenden Songs schließt „Blue“ den Kreis. Patti Smith und Michel Stipe kommen fast an das Niveau von „E-Bow The Letter“ heran, und erneut kann sich Lenny Kaye auszeichnen, diesmal allerdings ohne Solos. Die wären an dieser Stelle auch völlig fehl am Platz, der Song wächst und wächst, bis er schließlich mit den letzten Tönen zu „Discoverer“ mutiert und langsam ausklingt.
Eine Leistungsdichte, die sich durchaus mit „Automatic For The People“ und „New Adventures In Hi-Fi“ messen kann, kommt einem Wunder gleich. Im Vergleich mit diesen Meilensteinen hat die neue Scheibe natürlich das Nachsehen. Nichtsdestotrotz ist das Album beeindruckend, und wer darauf gewettet hat, der sollte vielleicht häufiger Lotto spielen. „Collapse Into Now“ wäre ein wunderbarer Abschluss für eine großartige Band. Aber da es ja keine Tour gibt, geht da vielleicht noch was.
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