Rezension
PeterLicht
Melancholie Und Gesellschaft
Highlights: Räume Räumen // Alles Was Du Siehst Gehört Dir // Heimkehrerlied
Genre: Pop
Sounds Like: Die Sterne // Die Goldenen Zitronen
VÖ: 05.09.2008
Kurzer Test für Simpsons-Nerds: Wie wird Thomas Pynchon - Ikone der postmodernen amerikanischen Literatur, dessen Aussehen bis heute kaum in die Medien geraten ist - bei seinen Gastauftritten in der Serie porträtiert? Antwort: Pynchons gelbes Alter Ego läuft schlicht und einfach immer mit einer Papiertüte auf dem Kopf herum, auf die ein Fragezeichen gemalt ist. Nächste Frage: Wie wird der Thomas Pynchon der deutschen Indie-Szene, PeterLicht, der seine Visage ebenfalls nicht von Zeitungen grinsen sehen will, auf Promofotos und ähnlichem dargestellt? Ganz einfach: Normale Profilfotos, auf denen aber zufällig irgendwelche Sachen vor dem Gesicht des Künstlers herumfliegen, -schweben oder -fallen. Bei Fernsehauftritten wird nur sein Körper oder sein Kopf von hinten gezeigt, und so weiter.
Sehr viel schwerere Frage: Warum das Ganze? Hässlich und deformiert ist Mr. Licht wohl nicht - oder die Make-Up-Künstler leisten bei seinen Auftritten hervorragende Arbeit. Und mit solchen Geheimnissen von der Qualität seiner Musik ablenken, müsste PeterLicht eigentlich auch nicht. Kaum jemand, der den Mini-Sommerhit "Sonnendeck" nicht zumindest teilweise mitsingen könnte, und auch andere Stücke wie das wunderschöne "Das absolute Glück" oder das fetzige "Wettentspannen" gehören mit zu den interessantesten deutschsprachigen Liedern, die in diesem Jahrtausend bisher geschrieben wurden. Und so ist natürlich auch "Melancholie und Gesellschaft" wieder ein wunderbares Stück Musik.
So sorgt gleich das eröffnende "Räume räumen" dafür, dass der Mund aus Begeisterung aufgeklappt und die Augen aus Genuss geschlossen werden. Wenn PeterLichts sanfter Gesang über den Traum von der Gesellschaftsflucht nicht wäre, könnte man aufgrund des simplen, aber unglaublich schönen Klaviermotivs, das diesen Song nebst dezenter Streicher leitet, fast an ein verlorenes Juwel des Isländers Ólafur Arnalds denken, so steht "Räume räumen" für sich alleine als einer der tollsten Albenopener des Jahres. Wenn es an dessen Ende dann heißt Was anderes sehe ich nicht, als in weiter Ferne lauter Licht passt auch die Überleitung zum folgenden "Alles was du siehst gehört dir": Ebenso klaviergeleitet, jedoch ein leuchtender und funkelnder, herrlich sommerlicher und lebensbejahender Popsong. Doch da solche Lieder einfach viel zu gut sind, um erfolgreich als Singles ausgekoppelt werden zu können, gibt es ja noch Stücke wie das "Trennungslied", das beinahe sechs Minuten lang zu herkömmlichsten Deutschpopklängen aufzählt, wer sich jetzt warum von wem trennt, oder das frische "Stilberatung/Restsexualität", das in einer ähnlich homogenen Aufzählung alle möglichen Industrien bittet, in ihren Werbespots doch auf allzuviel nackte Haut zu verzichten.
Und was diese Songs als potentielle Singles geradezu prädestiniert, ist genau dieser Aspekt: Dass man hier zumindest mit relativer Klarheit bestimmen kann, wovon zum Teufel PeterLicht eigentlich erzählt. Denn wo "Beipflichtn" noch mit seinem eingängigen Bye-bye-bye-bye-pflichten, okay-hey-hey-hey-hey finden ein Lächeln ins Gesicht zaubert, verwirrt er in der nächsten Strophe schon mit kryptischen Aussagen wie Wir ritzen unsere witzgefüllten Witze in die weiße Fläche der Welt: Natürlich ein Fest für Hobbyinterpreten, aber immer wieder die Frage aufwerfend, ob das hier nun Dadaismus, postmoderne Lyrik (Hallo, Herr Pynchon!) oder einfach Nonsens ist. Ist aber ja auch egal. Oder, wie Peterlicht in "Marketing" selber philosophisch grübelt: Ich denke, also bin ich. Bin ich nicht - Ich ist geisteskrank. Und kauf mir was! "Melancholie und Gesellschaft" zum Beispiel.
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