Rezension

Pendulum

In Silico


Highlights: Different // 9.000 Miles // The Tempest
Genre: Drum 'n Bass // Rock
Sounds Like: DJ Fresh // The Prodigy

VÖ: 30.05.2008

Ist man nicht zufällig Bioinformatiker, dann gibt der Begriff „In Silico“ nicht sonderlich viele Informationen preis. Gut, der ein oder andere wird ihm noch entlocken können, dass es sich bei seiner Form um die tote lateinische Sprache handelt, Scherzkekse könnten noch bemühte Flachwitze über künstlich-erweiterte, sekundäre Geschlechtsmerkmale der Frau reißen. Doch das „Silico“ steht nicht für die Lieblingssubstanz diverser Fetischisten, sondern bezieht sich vielmehr auf das Halbmetall Silizium. Der Ausdruck, der Pendulums zweites Album betitelt, bezeichnet – grob ausgedrückt – Prozesse, die innerhalb eines Computers ablaufen.

Pendulum sind also Technikfreaks? Man höre sich „In Silico“ nur einmal ausschließlich unter dem Aspekt der Produktion an und weiß: Ja, das sind sie defnitiv. Denn auf diesem Sektor setzt sich die zweite Platte der Drum'n'Bass-Band an das Spitzenfeld der Weltklasse. Woher's kommt? Womöglich, weil Sänger Rob Swire vorher als DJ tätig war und als Multi-Musiker gleichzeitig auch den Produzentenstuhl beschlagnahmt hat. „In Silico“ klingt voluminös, aber nicht überladen, vielschichtig, aber nicht verkompliziert. Jeder noch so winzige Soundschnipsel sitzt da, wo er soll und wird nicht ungehört unter den technoiden Klangteppich gekehrt. Zwischen-den-Zeilen-Leser haben es aber sicher schon erraten: So schön seine Verpackung auch ist, der Schokoriegel im Innern schmeckt leicht fade.

Mit einigen Ausnahmen folgen die zehn Songs einer schnell durchschaubaren Formelhaftigkeit. Wie das futuristische Cover schälen die Stücke ihre zwiebelartigen Schichten nach und nach ab, um im Kern einen repetitiven wie treibenden Hochtempo-Beat freizulegen. Dessen visualisiertes Äquivalent ist ein winziger Embryo, umgeben von einem Exoskelett aus mehrfarbig-strahlenden Spiralen auf dem Cover. Wollen uns Pendulum damit klar machen, dass im Kern, im Herzen ihrer Musik der Puls des Lebens schlägt? Dass der kybernetische Sound letztendlich von einer „einfachen“ menschlichen Seele bewohnt wird? Diesem Interpretationsansatz folgend, gelangt man vielleicht zu Erklärungen für die vereinzelt verstreuten Spuren des Rock auf „In Silico“. Aufblitzend sind hierbei das passend betitelte „Different“, das bereits als frühe Boje im Albumfluss Monotonie mit Breakbeats und schweren Keyboards bricht, um in einem psychedelischen Abschluss seine Krönung zu finden. Oder die umwerfend arrangierte Reise von „9.000 Miles“, ein sich türmendes Konstrukt aus sphärischen, summenden Keyboards, komplettiert durch sanfte Gitarrenpickings.

Nicht alle Tracks halten dieses ordentliche Level, kommen über 65 Minuten aber zumindest ohne Ausfall aus. Um auf die sicherlich aufkommende Frage nach der Rechtfertigung, einer Drum'n'Bass-Platte Monotonie vorzuwerfen, einzugehen: Kann man diesen Australiern, die ihren heraus stechenden Ruf als Live-Band unter anderem durch die vermehrte Verwendung von Bühneninstrumenten zementiert hat, zudem mit hochgestylten Bandfotos auf sich aufmerksam machen will und überdies von der britischen Rockpresse zusehends abgefeiert wird, überhaupt noch als im Drum'n'Bass verwurzelt bezeichnen? Kein Zweifel: Pendulum wollen auch - beziehungsweise gerade - die Rock-Kids einsacken. Und müssen sich daher auch auf deren Bewertungsskala messen lassen. Auf der liegen sie zumindest ein gutes Stück über dem Klangbrei, der mit britischen Synthesizern derzeit immer und immer wieder erbrochen wird. Drum: dankbar sein für eine nette Abwechslung zur Norm des britischen 0815-Hypes.

Gordon Barnard

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