Rezension

Male Bonding

Nothing Hurts


Highlights: Year's Not Long // Your Contact // Franklin // Nothing Used To Hurt
Genre: Lo-Fi-Punk // Noise-Pop
Sounds Like: No Age // Hüsker Dü // Superchunk // Sebadoh // Nirvana

VÖ: 14.05.2010

Natürlich wünscht man es nicht mal seinen ärgsten Feinden, aber erinnert sich noch jemand an das Musikvideo von Korn zu “Y’all Want a Single”? Auch wenn dieses ruhmlose New-Metal-Spätwerk heute bloß noch ratloses Schulternzucken hervorruft: Angehenden Marketingstrategen könnte es als Fallbeispiel für kalkulierte Zielgruppenbedienung vorgeführt werden. Ihr Image als schonungslose Wahrheitsapostel erfüllend, wettern Korn hier gegen die Spielregeln der ach so bösen Musikindustrie und Chartmaschinerie. Dumm nur, dass die Hintergrundbeschallung zum munteren Plattenzerstampfen selbst jedes der angeprangerten Klischees bedient. Ganz gleich, ob diese Metareferenz nun bewusst oder unbewusst ist, der angestrebte authentisch wütende Protestsong verkümmert so zu einem artifiziellen und zahnlosen Kunstprodukt.

Male Bonding aus dem unscheinbaren Londoner Vorort Dalston (welcher bisher einzig durch den gleichnamigen Razorlight-Song zweifelhaften Indie-Ruhm erlangte) dagegen scheren sich herzlich wenig um Songstrukturkonventionen und Chartsplatzierungen. Getreu ihrer Bandphilosophie “Tinnitus. And a hook.” knüppelt sich das Trio in 29 Minuten durch 13 Songs, wobei kein einziges Lied die statistisch errechnete Ohrwurmlänge von 3 Minuten knackt. Das wäre nun für eine Punkband alles recht unspektakulär, hätten Male Bonding nicht dieses feine Gespür für Melodien, welche sich wie Häkchen im Innenohr festkrallen. Dass Lieder wie “Year’s Not Long” und “Nothing Used To Hurt” aufgrund ihrer Gattungszuordnung immer noch zu widerborstig sind, um die Indiekonsensdissen der Nation zu beschallen, dürfte den Genrefan recht wenig scheren. Insgesamt assoziiert man diese Musik weniger mit Burberry und miefigen Pubs als mit kalifornischen Stränden und Skateparks, positioniert sie sich doch stilistisch in der amerikanischen Noisepop-DIY-Tradition.

Das Skelett des Male-Bonding-Klangkosmos bilden deshalb nicht zackige New-Wave-Drumbeats: Vorbild ist hier vielmehr die lärmige und verschrobene Poppigkeit der Untergrundmusik der Achtziger, dem Zeitraum also, wo aus Hardcorepunk das entstand, was man heute als Collegerock verschreit. Neben SST-Legenden wie Hüsker Dü standen primär die Labelkollegen No Age Pate, schließlich waren diese 2008 hauptverantwortlich für eine Reanimierung des damals darbenden Noisepop-Genres. Allerdings beschränkt sich die akustische Bandbreite keinesfalls auf die Achtziger: Songs wie “T.U.F.F” und “Paradise Vendors” zitieren den frühen Grunge der Sub-Pop-Überväter Nirvana, während die Melancholie eines “Your Contact” auch von Dinosaur Jr. kommen könnte.

So weit, so euphorisierend. Leider verheddert sich nun das Kassettenband: Warum musste dieses wundervolle Album so absichtlich vermatscht aufgenommen werden? Sicher, Male Bonding entstammen der Lo-Fi -Szene, führen ein eigenes Mikrokassettenlabel, veröffentlichten zahlreiche Splits mit Gleichgesinnten wie Dum Dum Girls, Graffiti Island, Pens, featuren die Vivian Girls im Schlusslied “Worse To Come” und betonen ihre Authentizität und DIY-Wurzeln in Interviews gebetmühlenartig. Nur übersieht die Band, dass sie mittlerweile keine handverpackten Kassetten, sondern höchstprofessionell beim angesehensten Indielabel der Welt veröffentlicht. Gerade indem die Band an einer dilettantischen Aufnahmetechnik festhält, setzt sie sich dem Verdacht des Kalküls aus. Jede betonte Authentizität kann schnell (wie im überzogenen Korn-Beispiel der Einleitung) zu einer Karikatur derselben mutieren. Warum wählt man selbst ein längst überbevölkertes Ghetto und beschneidet dadurch die eigenen künstlerischen Entfaltungsmöglichkeiten? Stillstand bedeutet bekanntlich Tod. Und das sollte doch gerade eine Band wissen, die sich damit brüstet, jede LP ausschließlich auf 45 Umdrehungen pro Minute abzuspielen.

Yves Weber

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