Rezension
Leif Vollebekk
Twin Solitude
Highlights: Vancouver Time // Elegy // East of Eden
Genre: Singer-Songwriter
Sounds Like: Jeff Buckley // Nick Drake // Ryan Adams
VÖ: 24.02.2017
Ihr kennt das: Wird man von Bekannten oder Kollegen, die musikalisch durch die größten Musikhits aus vier Jahrzehnten sozialisiert wurden, nach dem persönlichen Musikgeschmack gefragt, und man daraufhin mit „Singer-Songwriter-Musik“ antwortet, bekommt man nicht selten zu hören, dass sie selbst ja auch große Fans von Tim Benzko oder Ed Sheeran sind und ebenfalls total auf „Singer-Songwriter“ stehen. An guten Tagen erwidert man daraufhin wahrscheinlich ein nettes Lächeln, versucht schnell das Thema zu wechseln und schickt gleichzeitig ein leises Dankgebet in Richtung Himmel, dass man persönlich das New Pop Festival nicht für die Mutter aller Indie-Veranstaltungen hält.
An allen anderen Tagen möchte man solchen Menschen jedoch am liebsten ihr UKW-Radio um die Ohren hauen und ihnen klar machen, dass nicht jeder Milchbubi, der eine Gitarre halten kann und in sülzigen Paarreimen über gebrochene Herzen singt, ein Singer-Songwriter ist, sondern dass es weitaus mehr braucht, um als solcher künstlerisch ernst genommen zu werden und bei éclat Höchstpunkte zu erzielen. Und dann könnte man ihnen vielleicht das neue Album von Leif Vollebekk vorspielen, in der Hoffnung, dass sie danach merken, dass sie eben bis jetzt nicht auf „Singer-Songwriter-Musik“ gestanden haben, sondern eigentlich nur auf das, was kommerzielle Radiosender darunter verstehen. Vielleicht aber besser auch nicht, denn das wäre wahrscheinlich so oder so vergebene Liebesmühe und so behält man diesen großartigen Künstler in solchen Gesprächen dann doch lieber für sich.
Dabei würde das neue Album „Twin Solitude“ des kanadischen Künstlers wahrlich alles mitbringen, um den qualitativen Unterschied dieses Genres ein für alle Mal deutlich zu machen. Es ist ein klassisches Singer-Songwriter-Album geworden, das ganz ohne größere Ausreißer oder Überraschungen auskommt. Reduzierte Gitarren, hier und da ein paar dezente Streicher, gefühlvolle Pianoklänge und sanfte Bässe – mehr braucht es auf Vollebekks drittem Album nicht, um insgesamt zehn zeitlose Songs zu schreiben. Im Gegensatz zu seinem letzten Album „North Americana“, das über einen Zeitraum von über zwei Jahren entstanden ist, unterscheidet sich der Entstehungsprozess der Songs auf „Twin Solitude“ bedeutend. Ein Großteil der Songideen hatte Vollebekk dieses Mal, als er eigentlich mit komplett anderen Dingen beschäftigt war. So kam ihm beispielsweise die Idee zum grandiosen Song „Elegy“ als er auf dem Fahrrad durch seine Heimatstadt Montréal fuhr, während er das träumerische „Michigan“ auf einer ungestimmten Gitarre schrieb, kurz bevor er eigentlich ins Bett gehen wollte. Die dabei entstandenen ersten Songskizzen und Textzeilen wurden meist dann auch genau so direkt für sein Album übernommen und eingespielt. Dementsprechend wirken die Songs insgesamt deutlich weniger ausgereift als noch auf den beiden Alben davor, aber klingen genau deshalb so unglaublich nahbar, intim und zugänglich.
Leif Vollebekk ist mit „Twin Solitude“ ein Album gelungen, um dessen Airplay sich die großen Radiosender dieser Welt eigentlich reißen müssten. Aber so lange sich diese dazu entschieden haben, gute Musik aus ihren Sendungen zu verbannen, darf man am Ende dann doch auch froh sein, wenn ein solches Singer-Songwriter-Juwel wie Leif Vollebekk in Zukunft nicht auf den gleichen Bühnen wie seine „Singer-Songwriter-Kollegen“ Tim Benzko oder Ed Sheeran stehen muss.
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