Rezension
Jens Friebe
Nackte Angst Zieh Dich An Wir Gehen Aus
Highlights: Schlaflied // Sei Einfach Nicht Du Selbst // What Death Will Be Like // Zahlen Zusammen Gehen Getrennt
Genre: Schlager-Techno vs. Intelligenter Pop
Sounds Like: Alexander Markus // Patrick Wolf // Kurt Weill
VÖ: 19.09.2014
Was ist das für ein verflixter Typ, dieser Jens Friebe? Durch und durch schlau und gewitzt präsentiert er sich auf seinem neuen, fünften Studioalbum im zehnten Karrierejahr. Und das so charmant, dass man ihm fast die bewusst schrottigen Songs zwischen den unglaublich starken Perlen verzeiht. Hoch anzurechnen ist ihm in jedem Fall, dass er damit alle Hörer vom Hocker reißt, und dass er ohnehin immer wieder zu überraschen weiß. Ein "Schlaflied" folgt einem Gute-Laune-Elektro-Song, eine Ballade schließt das Album, das einer Achterbahnfahrt gleicht.
Alexander Markus ist bestimmt stolz auf Jens Friebe, wenn er "Nackte Angst Zieh Dich An Wir Gehen Aus" in die Hände bekommt. Denn gleich der erste Song schlägt mit geballter Ladung Schlager-Techno zu. Bei den Wörtern "Hölle, Hölle!" fallen einem auch unwillkürlich gleich ganz andere schlimme Lieder ein.
Die Songs flitzen nur so vorüber wie Autoscooter auf der Kirmes. Nur wenn das Guthaben alle ist, wird es langsam und man wird von allen Seiten angreifbar. Also schnell einen neuen Chip einwerfen und selbst der Angreifer sein. Hinter all dem fröhlichen Geballer und auch hinter den melancholischen Parts steckt aber einiges mehr, als man oberflächlich vermutet. Ganz viel Tod, Endzeitstimmung, Systemkritik und Umgang mit Angst lässt sich hier finden, um nur einige tiefgründige Themen zu nennen. In jedem Song befindet sich mindestens eine Zeile, bei der man vor der Dichtkunst und dem Songwriting Friebes einen hochachtungsvollen Knicks machen möchte. "Die einen treten auf der Stelle // Die anderen sind die Stelle, auf der man tritt" ("Hölle Oder Hölle"), "Mit allen // Mit denen man nicht schlafen darf // Schläft man im Schlaf" ("Schlaflied") oder "Ich wusste zu viel von dir // Lieblingsgeschirr und chinesisches Tier" ("Ich Wusste Zu Viel Von Euch") wirken vordergründig erstmal witzig und albern, bergen aber eine große Tiefe und ein Interesse für Details in sich.
Das "Schlaflied" klingt urig, einlullend und vertrauenerweckend – und passt damit nach all dem Tamtam erstmal so gar nicht ins Konzept. Man muss gleich leiser drehen, denn die Lautstärke der vorherigen Songs würde bei diesem hier aufdringlich und unpassend wirken. Schließlich geht es hier ums Einschlafen, da sollte es sachte und leise zugehen.
Nach dem Einschlafen wird man gleich radikal aufgeweckt. Mit einem Protestsong! Der klingt schrullig und poppig zugleich, mit schiefer Orgel und sarkastischem Text: "Gib mir ein Versprechen // Und versprich mir, dass du es hältst // Sei einfach nicht du selbst". Wer Jens Friebe auf seinem neuen Album sein will, weiß er vielleicht selbst nicht so genau. Vom Moritatensänger in "What Will Death Be Like", über den Liebhaber zarter, asiatischer Klänge in "Guess Which Celebrity Partied Too Hard On Their 18th Birthday (Or Not)" bis hin zu einer Mischung aus Patrick Wolf und Jens Lekman ist alles drin. Wie bereits erwähnt, Friebe weiß zu überraschen und überfährt den Hörer mit einer solchen Wucht und unglaublichem Charme, dass man ihm wahrscheinlich alles abkaufen würde.
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