Rezension

Idles

Joy As An Act Of Resistance


Highlights: Colossus // I'm Scum // Danny Nedelko // Television
Genre: Punk
Sounds Like: Shame // Sleaford Mods // Black Flag // The Fall

VÖ: 31.08.2018

„Joy“ – ja nee, is‘ klar. „Freude“ war kaum einer der Begriffe, an die dachte, wer den fast schon furchteinflößend wutgeladenen Liveshows der Idles beiwohnte oder letztes Jahr deren ungeheuer passend betiteltes Debüt „Brutalism“ hörte. Passend nicht nur wegen des enthaltenen Adjektivs, sondern auch aufgrund der Anspielung auf die Architekturrichtung des Brutalismus, deren schnörkellose Hässlichkeit ziemlich gut zum Punk der Idles passte. Und doch ist die Freude, die sich im Titel des zweiten Albums versteckt, tatsächlich ebenso ein passendes Wort, wenn man über „Joy As An Act Of Resistance“ spricht – genau wie „Kreativität“ oder, tatsächlich, „Liebe“.

Diese Konzepte ersetzen weder den Zorn und die Angst, die „Brutalism“ prägten, noch stehen sie im Widerspruch zu ihnen. Beispiel „Colossus“: drückt zunächst langsam und tonnenschwer wie eine Lawine, erlaubt sich nach einigen Sekunden Stille dann aber einen Ausflug in den Garagenrock und damit eine stilistische 180-Grad-Wendung – ein Novum für eine Band, deren Bassist in manchen Songs nicht einmal mehr als eine einzelne Note spielt. Passt jedoch zum Text, wenn Joe Talbot sich innerhalb des Songs von jenen Rollenerwartungen an erwachsene Männer befreit, die ihn in auch in „Samaritans“ beschäftigen.

Hätte „Colossus“ jedoch auch auf dem Debüt noch das wunderschön hässliche Bouquet des Hasses um eine weitere Blume bereichern können, waren komplett ironiefreie Liebeserklärungen an Partnerin („Lovesong“, der die Angebetete immerhin konsequent nicht mit Rose oder Sommermorgen, sondern Pistole oder Messer vergleicht) oder Tochter („Television“) dort noch kaum vorstellbar. Gerade diese scheinen den Briten aber am meisten Spaß zu machen – man sehe sich nur das Video zum Fast-schon-Poppunk des Songs über den Flüchtlingsbuddy „Danny Nedelko“ an oder buchstabiere im Kopf mit, wenn Talbot die Botschaft „DANNY NEDELKO COMMUNITY SO FUCK YOU“ in seine Bestandteile aufdröselt.

Doch nicht nur „Danny Nedelko“, der den Idles die Chance geben sollte, das Set diverser Late-Night-Shows zu zerlegen, lässt grinsen, ebenso der herrlich durchgeknallte Abschluss „Rottweiler“ oder augenzwinkernd eingebaute Referenzen an Nancy Sinatra und Ernest Hemingway. So kann man sich fast vorstellen, wie Talbot seine Bandmitglieder in Zukunft auf Konzerten anlächelt, statt sie anzublaffen – da kann dem Lächeln auch der eine oder andere Zahn fehlen.

Jan Martens

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