Rezension

Hans Unstern

Kratz Dich Raus


Highlights: Anglet // Endlos Endlos // Paris // Flecken // San Simon
Genre: Singer/Songwriter
Sounds Like: -

VÖ: 16.04.2010

„Kratz Dich Raus“ – ein Konzeptalbum, das sich (von allen Konventionen ab) gewaschen hat und sich mit Händen und Füßen vehement weigert, sich in auch nur irgendeine Schublade stecken zu lassen. So oder so ähnlich könnte das normalerweise am Ende einer Rezension stehende Fazit zum Debüt des Berliners Hans Unstern lauten. Doch Regeln sind schließlich da, um gebrochen zu werden. Diese Aussage würde Herr Unstern sicherlich unterschreiben, denn klassische Songstrukturen mit „Intro, Verse, Pre-Chorus und Chorus“ scheinen ihm nicht zu liegen. Stattdessen verleiht er seinem Werk durch ganz eigene Stilmittel (und -brüche) einen besonderen Klang.

Ein jeder Song schält sich aus dem anderen heraus, aber auch nur, um dann ein paar Takte später den Nachklang des Vorgängers abzuschütteln und zu beweisen, dass er auch ohne all die anderen kann. Doch dem ist nicht so. Und gerade aufgrund dieser symbiotischen Abhängigkeit will sich eben jeder Song unter allen Umständen Gehör verschaffen. Manche davon (wie in „Flecken“) sind dabei ganz mutig und gelangen durch virtuoses Klarinettengekreische hier und verzerrter Stimme dort zu ihrer gewünschten Aufmerksamkeit. Andere wiederum (insbesondere „Endlos Endlos“) ziehen den Hörer durch das leise Harfengezupfe und den sanften Regenschauer im Hintergrund in den Bann. Zusammengenommen ergeben alle Stücke ein ganzes Orchester samt Trompete, Glockenspiel, Melodika und natürlich der sonstigen üblichen Verdächtigen. Doch es steht noch ein weiteres Instrument in den Reihen und zwar gleich ganz vorne: Unsterns unverwechselbare Stimme. Manchmal klingt sie quakig und quietschig, ein anderes Mal haucht sie uns ein „Paris, quel beau souvenir“ in die Ohren, wie es kein Franzose hätte besser machen können. Und noch im gleichen Song verliert sich die Stimme dann in einem fast statischen Sprechgesang. Ein Album voller Kontraste.

Nicht nur die instrumentale Vielfalt ist augenfällig, sondern vor allem steht Unsterns galant betriebene Lyrikkunst im Vordergrund. Deutschlehrer würden wohl die Hände über den Kopf zusammenschlagen, wenn sie ihre Schüler Unsterns Songs interpretieren ließen. Dass Lyrik keinen grammatikalischen Regeln folgen muss, ist allgemein bekannt. Doch gleich derartige metaphorische Ausbrüche? Böswillige Zungen könnten dem bärtigen Berliner unterstellen, zuletzt selbst nicht ganz zu wissen, was er da macht. Seine Texte sind voll von wild zusammengewürfelten Stilmitteln, so dass einem schon mal schwindelig werden kann. Besonders beeindruckend ist jedoch die ausgefeilte Metaphorik, die das ganze Album wie ein halbtransparenter Schleier umhüllt. Mal scheint man den Durchblick zu haben und an anderer Stelle ist alles wieder total undurchsichtig.

Unstern wirft mit einem Mal alle Konventionen über den Haufen und kratzt alles aus seinem Innersten heraus. Der Vorhang fällt. Da steht sein Werk nackt vor einem und schweigt. Da bin ich. Das bin ich.

Frauke Stenglein

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