Rezension

Gossip

Music For Men


Highlights: Dimestore Diamond // Heavy Cross // Pop Goes The World
Genre: Disco-Punk // Synth-Pop
Sounds Like: The Kills // Blondie // Peaches // Bikini Kill // Pussy Galore

VÖ: 19.06.2009

Na, so schnell kann's gehen. Mit “Standing In The Way Of Control” waren Gossip (damals noch mit einem "The" vor dem Namen) vor 3 Jahren noch die absolute Indiesensation. Ihr rauer Sound, der vom souligen Stimmeinschlag Beth Dittos getragen wurde, war irgendwie neu, ebenso wie ihr Auftreten. Beth Ditto, die sich selbst als “fett” bezeichnet, ist ungefähr doppelt so schwer, wie es von außen herangetragene Experten Idealgewicht nennen und als gesund erachten. Hannah Blilie, die Drummerin, ist ein Tomboy, stellt eine lesbische Butch-Identität dar und gemeinsam mit Gitarrist Nathan Howdeshell kämpften sie über das ihnen gebotene Medium für mehr Rechte Homosexueller und gegen das Randgruppendasein eines mehr und mehr anerkannten Phänomens in der Politik - Stichwort: Homoehe.

Dieser Tage schien man das alles schon wieder vergessen zu haben - so verwundert und desillusioniert war der geneigte Supporter der Band von Beth Dittos Auftritten auf Modeschauen in den zarten Armen Karl Lagerfelds, von der Anwesenheit auf den Covern diverser Magazine, sowie vor allem von der Berichterstattung über die “vollschlanke” Sängerin in Boulevardblättern wie Bild und Sun. Jetzt bringt Ditto auch noch ihre eigene Kollektion raus, die zu H&M-Preisen verscheuert werden soll und lässt das neue Album - übrigens Majordebüt - ihrer Band The Gossip von Rick Rubin produzieren. Könnten wir jetzt irgendwo noch die CDU unterbringen, dann wäre das absolute Konterbild zum Punk perfekt.

“Music For Men” ist - gemessen an den Vorgängern - ein absolutes Mainstreamprodukt. Die Punkästhetik und der New-Wave-Touch, der schon immer mitschwang, vermengen sich hier ansatzlos mit Discoelementen. Doch - und das ist wichtig bei dieser Band - Gossip sind Pop, Beth Ditto ist eine blühende Gestalt der Popbranche und ist ein wichtiger Teil einer Band, die - nicht nur durch ihre Musik - ein Gesamtprodukt schafft, das für etwas steht und etwas aussagt. All die Dinge also - Lagerfeld, Modenschauen, Boulevardblätter - sind irgendwie schon wieder Punkattitüde im Gossip-eigenen Popdiskurs. Ebenso das selbstverständliche Auftreten der übergewichtigen Lesbin Ditto, die aus der Tatsache, dass sie sich nackt auf Magazinen ablichten lässt, keine Besonderheit erwachsen lässt und somit Vorreiterin für eine Geisteshaltung sein will, die sie sich generell in der Gesellschaft wünscht.

“Music For Men” - der Titelsong des Albums - ist eine Hymne für Homosexuelle, wie sie lange nicht mehr gehört wurde. Im Gegensatz zu “Standing In The Way Of Control”, das als Plädoyer für die Homoehe in Richtung George Bush geschmettert wurde, ist der Titel einer der unauffälligeren dieser Platte. Auffälliger und nicht minder unangepasst sind da schon eher die Eröffnungstracks “Dimestore Diamond” und “Heavy Cross”, die gleichzeitig auch für die musikalische Bandbreite der Band Pate stehen. Während Ersterer mit seiner Reduzierung auf das Wesentliche und den Soulvibe Dittos an den Stil der letzten Kills-Platte anknüpft und nur so vor Sex sprüht, ist die Single “Heavy Cross” ein Disco-Song aus dem Lehrbuch, ein Dancefloor-Track, der seinesgleichen sucht. “Pop Goes The World” ist mit seiner Synthiekirmes eine astreine Vorlage für Werbejingles oder andere mediale Verwendungen. Es rufen die 80er unüberhörbar dazwischen - gerade dann, wenn sich der Sound elektronischer gibt, tanzbarer, und die Chucks mit dem “The Clash”-T-Shirt sich wunderbar mit Schulterpolster-Blazern kombinieren lassen.

“Music For Men” ist ganz sicher kein ganz großes Album, doch es ist ein gelungener Output des Popproduktes Gossip, das sich aber auch ganz besonders gut in jeder Indie-Zappel-Kaschemme macht - ebenso wie auf Modenschauen, wie hinlänglich bewiesen wurde.

Andreas Peters

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